Neulich im Komposthaufen

Tausende von nackten Armen heben sich, immer in Wellen, die die Tribünen hoch, immer und immer wieder. Sie reagieren wie ein Leib, lauter rosafarbene Würmchen wippen im Takt, es sieht aus wie in den Tiefen des Komposthaufens. Und dabei ist nur die Unruhe des Wartens, die sich ausbreitet.
Wann kommt er nun? Man steht eng auf den billigen Plätzen. Und trägt Hemdchen von der letzten Tour, oder der vorletzten . Rüpelhafte Ordner lassen ein Sitzen auf den Betonstufen nicht zu. Der Videowürfel am Himmel aus Stahlrohr und Plastik bietet schon die Rückfahrtszeiten. Ein kleines Männchen und seine Freunde in geschätzten zwei Kilometer Entfernung nennen sich Vorgruppe und sind viel zu leise. Irgendwann fragt das hüpfende Männchen, ob ihn denn einer kennen würde. Außer meiner Nachbarin findet sich niemand. Und sie kennt ihn, weil ihr pubertierender Sohn immer wieder seine Musik ins Auto schmuggelt.
Es wird immer wärmer, man steht noch enger, die Ordner wissen, wie man packt.
Dann kommt er endlich, der Langersehnte, der Erwartete. Das Publikum hat lange genug Wellen geübt und ist schon ziemlich aufgeladen. Die Einpeitschlieder wären also nicht nötig gewesen.
Alle singen mit, man singt aus Tradition so undeutlich wie der Sänger selbst.“ Ich versteh ihn jetzt besser als auf der CD“ erklärt sich jemand in der Reihe dahinter. Und von daneben kommt die Fortsetzung “ Man versteht ihn nicht, und wenn man ihn versteht, versteht man ihn nicht.“
Mittlerweile sieht man im Lichte der Scheinwerfer, wie der Dampf von der Menge weg nach oben steigt. Es wird noch wärmer.
Die Emotionalität der Lieder erreicht ungeahnte Höhepunkte. Das Stadion wird zweigeteilt und singt Wechselgesang. Auf der Rückwand der Bühne sieht man den Sänger riesengroß. So weiß man, dass er noch da ist. Auf die Entfernung könnte das nämlich sonstwer sein. Das Publikum bestellt nun Lieder beim Sänger. Er ist noch ein bißchen zickig, will nicht. Und irgendwie reicht es ihm auch, verabschiedet sich , und kommt erst wieder, als aus dem Klatschen Gepfeife wird. Die Zugaben, geplant wie immer, kommen, er verschwindet wieder, und muss nochmals herbeigepfiffen werden. Er scheint müde, singt aber nochmals, auch das Lied von der Wurst mit Soße.
Er erzählt ein bißchen davon, wie nervös er gewesen sei vorher. Das erklärt das Zicken etwas. Und dann ist es vorbei, das Licht geht an, Luft kommt rein, und alle gehen. Die Ordner rüpeln noch ein bißchen. Man kauft sich das eine oder andere Hemdchen mit den Tourdaten, sucht vergebens nach dem Stand für die Wurst mit Sauce, und verkrümelt sich langsam Richtung Bahn oder Parkplatz. Dort geht nichts mehr, für eine lange, lange Zeit.
Die Schwitzflecken werden trocknen, aber die Erinnerung bleibt. Und durch die Träume hüpft, tanzt und singt sich ein kleiner Mann in großer Entfernung, der noch Knutschflecken am Hals hat von Bono und Bob.

Das war also Herbert Grönemeyer im Herzen von Schalke.
12.6.07 18:50