Einheit

Mit dem Nationalfeiertag fremdle ich, schon immer. Mir ging das damals einfach zu schnell. Und ich habe es tatsächlich geschafft, zu Anfang jeden 3. Oktober auf ausländischem Terrain zu verbringen. Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden. Allerdings stört mich immer noch der Herbsttermin. Ich kenne aus eigenem Erleben die nationalen Feiertage in den Niederlanden, Frankreich, Spanien und der Schweiz. Diese Länder schaffen es, ihn entweder stilvoll, bunt oder laut zu gestalten. Sogar die zurückhaltenden Schweizer machen einen unglaublichen Radau.
Bei uns gibt es trotz fast 30-jähriger Tradition eben keine Tradition. Es ist so wie in der Kindheit, als man als katholisches Kleinkind mit dem Buß und Bettag nichts anfangen konnte. Wenn ich mir hätte was wünschen dürfen, wäre irgendwas im Juli rausgekommen. Früher war es ja der 17. Juni, aber der war pflichtgemäß traurig zu begehen. Es ging ja schließlich um den blutig endenden Aufstand in der ehemaligen DDR. Man gedachte all der Menschen und auch der Angehörigen, die hinter der Mauer gefangen waren. Ich kannte niemanden da, wir hatten auch keine Verwandtschaft im Osten. Aber grundsätzlich sich an Menschen unter der Knute zu erinnern, war ja nicht schlecht.
Ich habe gelesen, dass ungefähr 20 % der Westler noch nie im Osten waren, dafür nur 7 % der Ostler noch nie im Westen.
Ich weiß noch, als die Mauer fiel, sind wir als erstes nach Werningerode gefahren und durch den Harz weiter bis zum Barbarossadenkmal, zum Bauernkriegspanorama und zum Mittelbau Dora.
Ein paar Wochen drauf fuhren wir durch Ost Berlin für 10 Pfennig. Und haben uns so viele Bücher im Haus des Lehrers gekauft, dass wir sie kaum tragen konnten. wir waren in Eisenach, Weimar, Erfurt und Dresden. Und ich weiß noch, was es für ein Schock war, die Häuser, die Straßen und die Einkaufsmöglichkeiten zu sehen. Zu Anfang, also vor dem Zusammenschluss, gab es in den Läden fast nichts. Wir konnten unser Zwangsumtausch Geld kaum loswerden. Wir aßen in Restaurants, die riesige Hallen waren und irgendwas mit Kultur hießen, Riesenmengen für fast kein Geld. Es war eine fremde Welt, und alles in deutscher Sprache. Doch die Sprache war nicht gleich, die Bedeutung musst erst erforscht werden.
Beim Essen musste ich immer fragen, was das nun wirklich ist.
Und vieles kannte man nicht.
In einem Postamt in Ost Berlin saß eine ältere Dame an einem Tischchen und versuchte ein kleines Päckchen zu packen. Ich hatte meine Briefmarken schon gekauft und fragte sie, ob ich ihr helfen kann. Sie sagte sie bekomme das Päckchen nicht so. Ich habe sie gefragt, ob sie kein Tesafilm hätte. Sie sagte, dass sie nicht wüsste, was das sei. Ich hatte zufällig einen in der Tasche und klebt ihr dann das kleine Päckchen zu. Ihr fassungslosen Blick werde ich nie vergessen. Es stellte sich dann heraus, dass das Päckchen für einen Künstler bestimmt war, der gerade an der Oper auftrat. Da wir sowieso alles zu Fuß abliefern, bot ich an, das Päckchen am Hintereingang abzugeben. Sie freute sich sehr.
Im Haus des Lehrers haben wir dann zu Mittag gegessen. Es waren nur ein paar Tische besetzt, aber man sagte uns sie seien voll belegt. Was ich mir dann erklären lassen wollte. Ich wurde äußerst unfreundlich darauf hingewiesen, dass Personal fehlte , man eben nur so viele Tische bedienen können. Man hat uns dann zu zwei Damen gesetzt, beides Kolleginnen. Sie haben uns dann erklärt, wie das mit der Stasi lief. Dass in jedem Betrieb jemand zur Weitergabe von Informationen ausgeguckt wurde. Sie erzählten uns auch, wer bei der kommenden Volkskammerwahl im März vorher bei der Stasi war, und wer nicht. Viel später stellten sich ihre Vorhersagen genau so ein. Wir erzählten Ihnen dann von den Leuten der RAF, die im Osten untergetaucht waren. Sie hat nie etwas von der RAF gehört. Das Buch von Stefan Aust, dass ich ihnen später schickte, kam wohl nie an.
Sie erzählten uns auch, warum das Personal so schnippisch sein durfte. Sie waren kleine Könige und konnten nicht entlassen werden.

Vor der Buchhandlung am Alex stand Menschen geduldig in einer langen Schlange, obwohl der Laden fast leer war. Man erklärte uns, dass nur so viele rein dürften, wie es Einkaufskörbe gab.

So halte ich die kleinen Mauerreste, die ich damals eigenhändig abgeschlagen habe, immer noch in Ehren. Allerdings liegen sie nicht mehr, wie so lange, offen rum sondern sie liegen in einer Schachtel.

An all das muss ich denken an einem solchen Tag. Eigentlich sollten wir uns freuen, so richtig freuen, dass es gut ausgegangen ist. Das ist keine Selbstschussanlagen mehr an der Grenze gibt es und keine gegenseitige Überwachung und Diffamierung. Die DDR ist weg, und doch haust sie in den Köpfen vieler Menschen als kleines Gespenst immer noch und stiftet Unruhe. Und doch sollten wir das sehen, dass wir einander wieder haben und das was uns verbindet.

Ein Hoch auf uns.

Noch ein bißchen Spaß:

Und er sprach zu den Fischen…
Und es gab eine wundersame Katzenvermehrung
Fischen für Faule
Gespräche vermeiden, mit Jodie Foster