Das Genetikpraktikum findet Freitag Nachmittag statt, Jahr für Jahr, immer. Und ich weiß auch warum. Interessieren Sie sich dafür, ja? Dann muss ich etwas ausholen.
Genetik hat ja mit Fortpflanzung zu tun. Und Fortpflanzung dauert. Also nicht der Anfang, da geht es ratzifatzi. Nein, die Entwicklung des Embryos, der Made oder wie die Anfangsstadien alle heißen, dauert. Wenn ich also etwas über Vererbung erfahren will, fange ich besser nicht damit an, Elefanten zu kreuzen. Deren Tragzeit von fast zwei Jahren würde die Grenze eines Praktikums gewaltig sprengen. Und dann muss man noch gemeinsam darauf warten, bis die Tiere geschlechtsreif werden, wieder verwartete Jahre.
Also hat man sich nach Tieren umgeschaut, die es eilig haben, eilig mit der Fortpflanzung und eilig mit den Nachkommen. Und jetzt kommt es. So ist man bei der Fruchtfliege gelandet. Der Bewohnerin aller unserer Biotonnen.
Ist es hübsch warm und genug Essen da, braucht es nur ein paar Tage bis aus einem Ei eine kräftige Made und dann eine frischgeschlüpfte Fliege wird.
Und macht man als Herr der Fliegen alles richtig, dann hat man eine Woche später eine frische, paarungsbereite Generation in Lauerstellung.
Sie merken es, eine Woche, eine studentische Woche.
So, nun sitzen die Studenten da und haben ihre Plexiglasbecherchen voller Fliegen vor sich. Unten Bananenbrei mit Schimmelstopp, hineingesteckt ein Stück Filterpapier zum Draufrumkriechen und oben drauf ein kleiner Schwamm als Verschluss. Die Aufgabe lautet: hol die Fliegen raus, guck sie an, schau, was sie haben und bilde neue Pärchen für die nächste Generation.
Klingt leicht, ist sauschwer.
Es fängt ein hektisches Gewurstel mit Pinselchen und Ätherflaschen, neuen Becherchen und Nährbrei an. Merke: Student langsam, Fliege schnell.
So haut man das Gefäß mehrfach auf den Tisch, damit die Fliegen kurz am Boden bleiben. In der Zeit wird ein anderer, breifreier Becher drübergestülpt. In den müssen sie um mit einem äthergetränkten Wattebausch betäubt zu werden. Sind sie nun benebelt, kommen sie schnell unter’s Binokular um mit einem Pinselchen in Kategorien sortiert werden. In Männlein und Weiblein, in rote und weiße Augen, und in stummelflügelig und normalflügelig.
Man kann ihnen zuschauen, wie sie recht schnell mit den Flügel zittern, die Fühler bewegen, mit den Beinchen zappeln. Ein ganzer Aufwachraum sozusagen.
Wenn man nicht schnell genug ist, sind sie weg, verlassen einfach die Versuchsanordnung.
Wie gesagt, Fliege schnell, Student langsam.
So ist nach kurzer Zeit die Luft im Raum äthergeschwängert und voller Fliegen, und voller Krach.
Da der Äther ja auch auf das studentische Nervensystem wirkt, öffnet man die Fenster, die Türen, um nicht auch noch flach auf dem Rücken zu liegen wie die Drosophila.
So kriechen Betäubungsmittelschwaden und Fliegenschwärme gemeinsam durch die Flure und Räume der biologischen Fakultät und steigen zusammen in den Himmel der Universitätsstadt.
Und nun wissen Sie, warum das immer Freitag Nachmittag stattfindet.
Es ist immer besser, wenn sonst keiner im Hause ist, wenn die Fliegen frei haben.
Und hier noch meine Inspiration Queen Journelle.
Aaaaah, geliebte Drosophila! Das weckt sensorische und olefaktorische Erinnerungen – und solche an erste Fummelversuch im Biologieraum, als die Ätherdüfte noch im Raum schwebten. Ach, was war’n wir damals noch unzimperlich!
Fummeln? Im Biounterricht? Oh, wie passend 😉
ich hätte noch ein paar Fruchtfliegen abzugeben…
Gerne. Sie einzufangen gelingt meinen Schülern nie. So wäre es praktisch, sie schon im Gurkenglas zu haben.Die höchsten Preise werden erzielt bei diesen Mutanten 😉
http://www.biologie.uni-halle.de/entwicklungsgenetik/lehre/studenten/drosophila/mutanten/
und ich hab die einfach so abgemurkst, ohne zu wissen, ob Mutanten darunter sind. ts, ts, ts.
Ich werde fürderhin die Zuchtstation meines schlampigen Mitbewohners in unserer Küche mit ganz anderen Augen betrachten! Ja, Fliege schnell, Student langsam, gilt auch dort. Besonders fürs Aufräumen und Wegwerfen …
Ah, und in der Wikipedia die In-vitro-Zuchtstation! So sieht das mit Bananenbrei und Schwämmchen aus. Ja, Drosophila melanogaster ist mir selbst aus meinem Bio-Grundkursus im Gymnasium noch lebhaft in Erinnerung. Aber nur theoretisch. Zuchtexpermimente machten wir da nicht.
Tja, was Frau Journelle da wieder mit ihrer Fruchfliegen-Äußerung losgetreten hat. Und das bei einer Biologin, die garantiert auch noch Fruchtfliegen-Blogs und Fanseiten kennt! 😉 Danke für diesen lehrreichen Beitrag!
Freut mich, wenn ich für deja-vues sorgen kann.
Ja, die Fliege hat Freunde in aller Welt, nicht nur ihr Mitbewohner gehört dazu. Aber für ihn findet sich hier sicher ein passendes Geschenk.
http://shop.cafepress.de/drosophila-melanogaster
hallo croco
ich glaube bei dieser art weiterbildung würd ich schneller und nachhaltiger betäubt als meine versuchsobjekte..
in meinen eigenen studien habe ich eine todsichere (!) fruchtfliegenfalle entwickelt: ein schuss aceto balsamico, evtl. etwas wein, einen guten teil wasser, spülmittel und irgendeinen fruchtsaft .. ergibt ein stilles massaker… nur einige (wenige) clevere indivduen überleben diese verführung und sichern das survial of the fittest.
lg anne
Ja, die Fallen funktionieren tatsächlich. Nur bringen sie die Tiere um, was der Fortpflanzung eher abträglich ist.
Und zum Ätherdampf. Er ist schwerer als Luft und sinkt so nach unten. Also bleiben Sie als Referent besser stehen. Das ist ein Geheimtipp.
hallo croco
ich hab noch ein, zwei fragen zur biologie der fruchtfliegen: wo kommen sie her, wo gehen sie hin? sie erscheinen jeweils schlagartig irgendwann im herbst und sind, einige zeit später dann, quasi von einem auf den anderen tag verschwunden. weisst du etwas darüber?
lg anne
Aber gerne:)
Die Eier sind schon vor der Ernte von den Fliegen auf die Früchte gelegt worden. Vom Waschen gehen sie auch nicht ab. Um eine Invasion der Schlüpflinge zu verhindern, müsste man alles Obst im Kühlschrank aufbewahren. Dort ist es ihnen nämlich zu kalt zum aus den Eiern schlüpfen.
Und Insekten überwintern halt irgendwo in Ritzen im Holz von Bäumen. Manche, die erfrieren würden, legen Dauereier, die den Winter überleben. Ich glaube aber eher nicht, dass Fruchtfliegen Dauereier legen. Gefunden habe ich jedenfalls nichts dazu.
liebe croco
danke für diese infos! seit deinem post über die fruchtfliegen, sehe ich sie mit anderen augen!
lg anne
Freut mich sehr:)
Ich krieg mich kaum ein hier: Habe Bilder im Kopf, wie ich versuche, Fruchtfliegen mit einem winzekleinen Wattbäuschchen voller Äther zu betäuben… Und anschließend dann – wegen zu hoher Dosis! – per erster Hilfe wiederzubeleben, so richtig mit Mund-Nase-Beantmung und Herzmassage… 😀
Jetzt mal ernsthaft, ich hier so als Laie und Biounterrichtschwänzer: Wir das jetzt echt so gemacht, so richtig ernsthaft??? Ich meine, warum nicht zB den Äther direkt ins Glas sprühen oder so?
Ja, genau so wird es gemacht, heute noch.
Wenn man den Äther sprüht, kommen ja Tropfen auf die Tiere. Das könne sie umbringen. Und diese Intention hat man als Biostudent ja in dem Moment nicht.
Aha, wieder was gelernt! 🙂
Aber: watt eine Frukkelei, oder? Da kann ich nur Deine Geduld bewundern, für mich wäre das ja echt Nichts…