Apfelliebe

Wenn ich eine Frucht sein dürfte, wäre ich ein Apfel. Ich liebe Äpfel über alles.
Ab und an erzählt meine Mutter vom Beginn dieser Fazination. Frauen lieben merkwürdiges Essen, wenn sie in anderen Umständen sind, sagt sie. Essiggurken und so weiter.
Ich als Embryo verlange nach Äpfeln.
Sie zu beschaffen in der damaligen Zeit war schwer. Im Keller gab es nur noch Schrumpeliges, kaufen konnte man es sie erst wieder im Herbst. Neuseeland oder Chile waren damals nur Flecken auf der Landkarte und keine Lieferanten für Frisches.
So aß sie mit Heißhunger die Keller der Verwandtschaft leer.
Sonntag Abend musste mein Vater zum Bahnhof gehen, und dort schauen, ob es in diesen beleuchteten Ziehfächern irgendwo Äpfel gab.
Nach der Geburt war ihr Apfelhunger vorbei, meiner nicht. Gab es Apfelmus, Bratapfel, Apfelkuchen oder Kompott, war ich glücklich.
Diese Liebe begleite mich bis heute.
Am Haus stehen alte Apfelbäume. Im Frühjahr schweben ihre weißen Blütenwolken über der Wiese. Im Sommer werfen sie kleine unreife Früchtchen auf das Gras, die knacken wenn man drüber läuft. Und im Herbst leuchten die reifen roten Äpfel durch das Laub bis ins Wohnzimmer.
Die Ernte ist meine Sache. Körbe, Säcke und Apfelpflücker am langen Stil sind meine Werkzeuge. Mal sind es gute Jahre, mal schlechte. Mal sind sie klein und schorfig, mal groß, prall und glänzend. Mal haben sie kleine rote Würmer, die ihre dicken Köpfe aus den gebohren Löcher stecken, mal sind sie einfach perfekt.Ich liebe sie alle, immer, Jahr für Jahr.
Ich liebe ihren Geruch, ich liebe es, wie sie sich in meine Hand schmiegen, kalt und glatt.
Ich liebe es, in sie hineinzubeißen und dann den süßen Saft durch die Zähne zu saugen.
Ich weiß wie sie schmecken, und bin doch immer wieder überrascht.
Welchen ich am meisten liebe?
Den ersten im Jahr, den allerersten.

20121007-210056.jpg