Strasbourg, mon amour

Diese Liebe ist alt. Und diese Liebe ist voller Wehmut.
Viele Staßen erkenne ich wieder, durch die ich lief, an der Hand meines Vaters.
Er mochte diesen Platz, er mochte die Elsässer, er liebte das Essen.
Lange Jahre arbeitete er hier. Bei Nacht, ganz zufällig, fand ich das Hotel, in dem er immer schlief. Der Name Name klingt heute noch pathetisch, alles andere ist in die Jahre gekommen.
Er bliebt dort, wenn die Verhandlungen zu lange dauerten.
Manchmal kam er auch spät heim. Wir hörten ihn, und krabbelten wieder aus den Betten.
Auf dem Küchentisch lagen dann alle Wunderbarkeiten der französischen Lebensart. Croissants, Weißbrot, feiner Schinken, Käse mit Nüssen, Orangenmarmelade, gesalzene Butter, frische Feigen, Madeleines, die nach Orangenblüten dufteten und Flaschen dunklen, schweren Weines.
Und so saßen wir um Mitternacht um den Tisch und haben gegessen und getrunken. Ein Fest,
es war wunderbar. Damals entwickelte ich eine Vorliebe für Gelage zu unpassenden Zeiten, was Menschen neben mir heute noch zur Verzweiflung treibt.
Manchmal nahm er uns mit und setzte uns irgendwo ab. Er käme dann. Vielleicht dauerten die Gespräche so lange, vielleicht vergaß er uns auch. Jedenfalls musste es immer erst dunkel werden, bis er kam, umgeben von lauten, lebhaft französisch sprechenden Menschen.
Man besprach zuerst das Lokal und dort dann die Speisefolge.
Es gab dann meist riesige Platten belebt mit Sauerkraut, das in Champagner schwamm, wunderbaren Würste und zartem Fleisch.
Ja, Strasbourg ist Geruch für mich, Essen, Genießen.

Und es ist Münster, das Münster.
Auch an der Hand es Vaters wanderte ich durch dieses Kirche. Vieles erklärt vom französischen Freund und Geschäftspartner, ein Mann voller Lebensfreude, einer Liebe zum Elsass und einer eintätowierten Lagernummer am Unterarm. So präsent und im Hier und Jetzt habe ich kaum je wieder einen Menschen getroffen.
Noch heute höre ich seinen sanften Dialekt, der so alemannisch klingt, so weich, so rund.

Und das Münster, das außen zum Himmel strebt, innen voller Licht und Farbe,
ist auch bißchen Familie. Spuren des Großvaters gibt es hier, irgendwo, ein Steinmetz und Bildhauer, der als Geselle von Dombauhütte zu Dombauhütte zog. In Mailand war er auch, sagen sie. Seine Spuren sind verwischt, sein Handwerkszeug und seine Zeichnungen weggeworfen. Ja, die bösen Tanten. So blieben nur Geschichten, und ab un an ein Denkmal aus Stein. Die Engelsgesichter, so erzählen sie, hat er nach seinen Kinder gemacht. Sie saßen ihm Modell.

Ja, so wischt die Zeit über Menschen und Landschaften. Doch ihr gelebtes Leben spürt man, wie ein zarter Hauch schwebt es zwischen den Häusern dieser Stadt.

12 Gedanken zu “Strasbourg, mon amour

  1. sehr schöne Erinnerungen, es ist gut, sie zu bewahren und die Spuren wieder zu suchen. Ich finde es so wichtig, solche Geschichten auch weiter zu erzählen. Sie machen geliebte Menschen noch „greifbar“. Schade, dass die Zeichnungen des Großvaters weggeworfen wurden. Mein Großvater hat selbst ganz viel weggeworfen, aus Frust, dass er einen geliebten Beruf aufgeben musste.

    • Ins Feuer werfen ist ein Hobby meiner Familie, wie mir scheint.
      Sie hat kein Interesse an den Spuren anderer, warum auch immer.
      Ich glaube, das überspringt immer eine Generation.
      Was hat dein Opa denn weggeworfen?
      Und was sollen wir denn aufheben für die ferne Verwandtschaft?
      Mir fallen nur Fotos ein. Wer erbt mal meine Festplatte?

      • Mein Opa war Bäcker. Zuerst gezwungenermaßen (das Gerücht sagt, er wollte Tänzer werden. Darüber weiß ich leider nicht mehr. Dann wurde es aber sein Leib- und Lebensberuf. Und als er aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste, hat er eines Tages alles, was ihn noch an die Bäckerei erinnert verramscht und weggeschmissen. Ich hab noch ein handgeschriebenes Rezeptbuch von ihm. Aber die beschriebenen Seiten sind rausgerissen…
        Mein Onkel schreibt seine Lebensgeschichte auf, in Buchform. Ich find’s hochspannend. Seine Kinder und Enkel nur mäßig. Ich hab ihm aber auch gesagt, dass spätere Generationen sicher daran interessiert sind.

      • Welche Windungen so Lebenswege einfach nehmen können. Füs Spuren der Leben anderer Menschen muss man schon einen Sinn haben. Vieles aus dem eigenen Leben erklärt sich ja auch so. Einmal genetisch, man gleicht auch da seinen Vorfahren, oder aber durch das Erlebte, was weitergegben wird. Eine Familiengeschichte kann Mut machen, oder einen auch lähmen. Jedenfalls bleibt sie nie ohne Spuren

  2. Eins verwundert mich: das „Sauerkraut, das in Champagner schwamm“. Denn meines Wissens gehört in ein richtiges Elsässer Choucroute natürlich ein Elsässer Wein: ein Riesling.
    Und die schweren, dunklen Weine sind auch keine Elsässer, oder?
    Ich habe übrigens rue Ehrmann gewohnt – und quasi Tür an Tür mit einem sehr netten alten Herrn, der auch eine Nummer auf dem Arm hatte.

    • Das war ja das Besondere an dem Restaurant: am Tisch wurde der Champagner über das Kraut geleert.
      Und der Herr hieß Monsieur Gaz, was ein grausliger Name bei der Lebensgeschichte.
      An die Adresse erinnere ich mich nicht mehr.
      Der Wein war aus Bordeaux. Mit Verlaub, den Elsässer mochte er nicht besonders, eben nicht schwer genug.

      • Klingt nach einem teuren Restaurant… sonst hätten sie Crémant d’Alsace genommen. 😉

        Mein Nachbar hieß Prost. Paßt viel besser zum Wein als zum Lager.
        Ich muß ganz ehrlich sagen, hier im Südwesten fehlen mir die spritzigen Elsässerweine schon manchmal, denn die Bordeaux-Weine sind mir zu schwer. Die sind ja noch schwerer als die Burgunderweine.

      • So genau erinnere ich mich nicht mehr daran. Kann schon sein, dass es ein besonderes Restaurant war.
        Leider muss ich ganz auf Wein verzichten, oder eher ganzn auf Alkohol.Migräne halt.

  3. Tja, was soll man aufheben? Am spannendsten sind ja Dinge, die einem die Zeit verdeutlichen. Meine Oma hat eine Liste der Taufgeschenke für meinen Onkel aufgehoben. Er wurde 1945 geboren. Die Taufgeschenke waren: 2 Eier, 100 g Butter, Rosinen etc. Es macht mir – exemplarisch – klar, wie schlecht die Zeit wirklich war. Und die Dinge, die mir zeigen, was jemand wichtig war. Die Kochbücher und Rezeptsammlungen meiner Mutter würde ich nie wegwerfen wollen, auch wenn ich genügend Rezepte habe in Zeiten von Internet. Aber die handschriftlichen Hinweise in den Kochbüchern sind für mich wie wenn meine Mutter noch mit mir reden würde. Aber in 2 Generationen interessiert das natürlich niemand mehr.

    Vielleicht sollte man auch so Zeitkapseln zusammenstellen, wie bei einer Grundsteinlegung. Was würdest Du Menschen in 100 Jahren von unserer Zeit zeigen wollen? Ist schwierig zu entscheiden. Am Schluss ist es ja meist die Tageszeitung von heute.

    • Tageszeitung? Gute Idee. Mein Vater hat uns Kindern die Zeitung von ihrem Geburtstag aufgehoben.
      Fotos finde ich sehr interessant. Sie müssten allerdings beschriftet und zugeordnet sein.
      Am besten ist es wenn noch Autos, Häuser und Arbeitsplätze drauf sind. ann bin ich immer ganz hin und weg.
      Von einem Großonkel gibt es eine Postkartensammlung seiner Reiseziele. Die liebe ich heiß und innig. Ich weiß nun, dass mein Fernweh nicht von ungefähr kommt. Seltsamerweise haben wir fast die selben Plätze besucht.
      ( Dein Kommentar hatte sich selbst in den Spamordner begeben. Ich habe ihn befreit :-))

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