Ob ein Blog der richtige Ort ist für schreckliche Geschichten, weiß ich nicht.
Da aber Haß und und Ausgrenzung beginnen, überall Einzug zu halten, und die Grenzen des Sagbaren unmerklich verschoben werden, ist es doch an der Zeit auch direkt zu sprechen, und Unsagbares zu sagen.
Auf der Fahrt über die Alb zu einem recht traurigen Anlass kamen wir an der Burg Grafeneck vorbei. Burg Grafeneck, die Vernichtungsanstalt im Dritten Reich. Wir fuhren den Berg hoch, sahen das Schloss, die Gedenkstätte, den Friedhof dabei, und viele neue Häuschen. Heute gehört es dem Arbeiter-Samariter-Bund. Ich glaube, es sind Behindertenwohheime. Aber damals in den Jahren 1939/40 wurden hier 10.000 geistig und körperlich behinderte Menschen umgebracht. Als wir nach der Beerdigung wieder zu meiner Mutter kamen, erzählte ich es. Sie berichtete dann von mehreren Erlebnissen, die sie damit in Verbindung bringt. Im Dorf gab es eine Familie, die mehrere Buben hatte, und sich sehr freute über das Mädchen, das dann kam. Dass es behindert war, war traurig, aber sie liebten die kleine Schwester von ganzem Herzen. Sie sollte in ein Heim gebracht werden, was aber keiner wollte. Schließlich wurde sie abgeholt, und nach Grafeneck gebracht. Nur ein paar Tage später kam die Urne mit der Sterbeurkunde. Innerhalb von drei Tagen soll das Kind Lungenentzündung bekommen, daran verstorben und gleich verbrannt worden sein. Dann wusste man im Dorf, was dort geschieht.
Meine Mutter kannte Doktor Paul Mohrstedt, den Leiter der Psychiatrie in Schussenried und er hatte wohl schon Ahnungen was mit den Behinderten geschah, die von den kirchlichen Einrichtung in die staatlichen kamen.
Habe nachgelesen. Nach dem Krieg 45 hatte er dann eine Rechtfertigung geschrieben, in der stand, dass man es nur ahnte, aber nicht wusste. Seinem Stellvertreter hingegen war wohl ganz klar, dass man die Angehörigen benachrichtigen musste, dass sie ihre behinderten Verwandten aus den Heimen so schnell wie möglich rausholen konnten. Mittlerweile ging das ohne Genehmigung schon nicht mehr, oder es war sehr schwer. Sobald nämlich die Behinderten in den staatlichen Einrichtung landeten, waren sie verschwunden. Meist recht schnell kam dann eine Urne, eine Sterbeurkunde mit Todesursache, alles amtlich beglaubigt. In Grafeneck gab es auch ein
Standesamt, eine Polizeistation, die ganzen ordentlichen behördlichen Einrichtungen waren vorhanden. Später dann, nach nem Jahr wohl, war die umliegende Bevölkerung alarmiert, die Kirche alarmiert, und es gab Eingaben und Briefe, auch nach Berlin. Und so wurde die Anstalt verlegt mit Personal und zum Teil noch Einrichtung nach Hadamar bei Limburg.
Meine Mutter berichtete dann von einer weiteren Erlebnis mit einem Großcousin, die Großmütter waren Geschwister. Sie war zwölf, er etwas über zwanzig Jahre alt. Und sie besuchte ihn mit der Tante in der Anstalt Weißenau am Bodensee.
Ein Wärter sorgte dafür, dass sie sich unter einen Baum setzen konnten, wo kein anderer sie sah. So haben ihm Essen mitgebracht, ein Stück Wurst über Marken, etwas Brot. Meine Mama erzählt, er hätte gegessen wie ein Tier. Er hätte alles in sich reingeschlungen. Dann berichtete er, warum er hier sei. Er war wohl an der Ostfront und hatte dort ein Fronterlebnis, wie das damals genannt wurde. Sie wurden überfallen von der Gruppe Russen. Die Russen hätten die deutschen Soldaten mit einer Kreissäge in Stücke geschnitten und die noch Lebende mit den Leichenteilen beworfen. Den Soldaten wurden die Zunge aus dem Mund geschnitten, die Leichen bestialisch verunstaltet.
Und er hätte sich unter einem Berg solcher Körperteile versteckt und hätte so überlebt, weil er sich totgestellt hat. Wie er da rauskam, wusste meine Mutter nicht mehr.
Danach ging es ihm sehr schlecht und man hat ihn in die Heilanstalt Weisenau überwiesen.
Er hat sich sehr über den Besuch gefreut, war sehr gerührt. Er kannte natürlich die Tante und meine Mutter als kleines Nachbarskind. Nicht lange danach kam die Nachricht aus Weisenau, er sei verstorben.
Mein Großvater sollte dann mit dem Pferdefuhrwerk den Sarg abholen am Hechinger Bahnhof. Zuhause war die Beerdigung schon arrangiert. Das heißt, die Leute standen schon da. Es gab keine Möglichkeit den Sarg zu öffnen und nachzuschauen, der Zeitplan war zu eng. Mein Großvater erzählte, er hätte mit dem Wagen und dem Sarg im Galopp fahren müssen, damit er rechtzeitig zur Beerdigung da war. Meine Großmutter hatte dann noch die Gelegenheit, die Papiere anzuschauen, die da kamen. Darin stand nur, er litt an einem Fronterlebnis.
Woran er gestorben war, war aus den Papieren nicht zu erfahren.