Drei Wochen und zwei Klassenfahrten später, möchte ich zusammenfassen:
- Es gibt keinen Luxus. Es ist nicht das Überziehen der Betten oder eben die beengten Verhältnisse. Auch nicht das Essen. Das ist mittlerweile gut. Nein, es ist manchmal so, dass man das winzigste Zimmer bekommt und dann noch eine Dusche auf dem Flur. Mit Toilette. Das Zimmer ist so klein, dass man die ganze Nacht das Fenster auf lassen muss auch nicht zu ersticken.
-
Es ist eine Frage Nerven. Wenn ich eine Jugendherberge hätte, würde ich die Lehrer bestechen. Ich würde Ihnen Flüssigseife aufs Zimmer stellen, eine Flasche Saft und eine Tüte Gummibärchen. Man kann sie kaufen, diese lehrenden Menschen.
Wenn aber das Personal sagt, dass sie über Nacht nicht da wäre und man sie auch nur schwerlich erreichen können, weiß man es, dass man ab nun auf sich alleine gestellt ist. Früher gab es wenigstens einen Zivi, der einen Schrei abließ, wenn es laut wurde im Haus. Jetzt kann man zwar seine eigene Volk im Griff haben, aber es gibt immer andere Klassen und andere Lehrer, die alles sehr entspannt sehen. Da gibt es kleine freudige Kinder, die im dritten Stock übers Dach gehen, die Lautsprecherboxen ungeahnte Qualität haben und die durch geöffnete Fenster und Umstiege alle Sortierungsmaßnahmen torpedieren. So sitzt man auf dem Flur bis sich alles geordnent hat. Das kann dauern. -
Es trifft immer die selben. Es gibt Kollegen, die nie auf Klassenfahrten gehen. Ihre Begründungen sind meist sehr ausführlich und blumig. Die ganz Doofen lassen sich, wie ich zum Beispiel, einfach breitschlagen. Wenn man Glück hat, ist die ganze Fahrt sauber geplant mit interessanten Punkten. Wenn man Pech hat ist das eben nicht so. Dann wird es aber entspannt und interessant. Und man kann selbst planen. Man muss halt darauf eingestellt sein.
-
Es ist Strategie. Schön ist es, Klassen- oder Studienfahrten selbst zu organisieren. Am besten ist es, über ein Jahr vorher alles Wichtige schon gebucht zu haben. Und wichtig ist es, nie die Eltern zum Ziel befragen. Nie. Die Kinder wollen wo hin, nicht die Eltern sollen ihre Träume erfüllen. Ich habe schon junge Lehrkräfte gesehen, die einer Phalanx von Bodenseejüngern entgegentraten. Die Klasse wollte doch an die Ostsee.
-
Es ist eine Frage der Zeit. Man muss rechtzeitig reservieren. In diesem Jahr wurde es richtig teuer, wenn man das noch nicht gemacht hatte. Wenn die Verträge auf die Preise vom letzten Jahr lauteten, hatte man Glück. Jetzt kamen so viele Zuschläge dazu, dass es richtig teuer werden konnte. Da waren alte Verträge Gold wert.
-
Eltern sind seltsame Wesen. Sie liefern ihre Brut am Morgen der Abfahrt mit Gepäck beim Bus ab, meist grüßen sie nicht mal. Das Abholen läuft ähnlich, das Kind wird in das Auto mit laufendem Motor gepackt, sein Koffer schnell in den Kofferraum geschoben und ab. Man spricht nicht mit dem Lehrer, so als ob er ein fremdes Wesen von einem anderen Stern wäre. Kein Danke, kein „Wir sind froh, dass unsere Tochter gesund zurück ist“ oder „Den Kinder hat‘s gefallen“. Auch kein Konfekt oder Alkoholika. In meiner langen Dienstzeit gab es einmal Primeln und ein Mal Marmelade.
-
Das Leben zählt. Man macht es trotzdem immer wieder. Und warum? Man sieht, dass Kinder Freude haben miteinander. Dass sie Freude haben an ganz einfachen Dingen, am Lagerfeuer, am laut singen und am sich nassspritzen. Dass sie aber auch offen sind für all das was man ihnen zeigt, dass man ihnen die Augen öffnet, für Dinge, die sie bisher nie wahrgenommen haben. Und dass sie zusammen wachsen als Gruppe. In der Oberstufe ist es anders. Die Studienfahrten sprechen tatsächlich ihren Geist an, manchmal sind es sogar Ideen für Berufswege darunter. Und es sie Begegnungen mit Menschen außerhalb ihres privaten sozialen Gefüges.
-
Da capo. Und wenn man das alles vergessen hat, fängt es wieder von vorne an, im nächsten Jahr. Ein Kollege fragt, ob man mit ihm an die Ostsee kommt. Oder ins Sauerland. Nein, das ist dann keine Frage der Erotik, man ist die einzige weibliche Lehrkraft in der Klasse ohne kleine Kinder. Und es ist sicher eine abgelegene Jugendherberge mit Nazicharme irgendwo in der Pampa. Und man sagt einfach Ja.
Der vietnamesische Tänzer und Tanzlehrer Ly Nga wurde berühmt mit seiner getanzten Version von Ma Baker. Jetzt macht er sich an Modern Talking ran.
Ma Baker.
ich danke dir sehr für deinen einsatz, menschen wie du ließen unsere enkel dinge erleben, von denen sie auch später noch erzählen werden. es ist eben nicht egal mit wem man wegfährt, familie kann keine klassenfahrt ersetzten. dir wünsche ich im nächsten jahr zeit zur eigenen organisation, damit du es auch wenigstens etwas behaglich hast neben der arbeit. lieben gruß, roswitha
Danke sehr. Du hast das so schön gesagt. Ja, sie erleben Dinge, die sie prägen, in einer Gruppe, die nicht Familie ist. Sie bekommen einen Ausblick in ihr eigenes Leben.
Eine Fahrt hatte ich selbst organisiert, die anderen wurde von anderen geplant. Ich mag das hier nur nicht ausführen.
Dann spreche ich dir den Dank aus, für den ich bei meinen eigenen Klassenfahrten noch zu jung und dumm war. Ich habe danke der Lehrer SO viel dabei gelernt, mir wurde SO viele Wissenstüren aufgestoßen – von Halimasch bis zur griechischen Antike hätten meine Eltern mir das nie bieten können.
Ich danke Dir für die schönen Worte.😊 Ihr wart in Griechenland? Wunderbar.
Vielleicht ist es wie Bäume pflanzen. Es dauert Jahre, bis man die Früchte sieht.
mir fällt noch etwas wichtiges für die letzten zwei jahre ein: unsere jüngste enkelin musste auf fast alles verzichten: konfirmation, klassenfahrt, ausflug in europapark(war alles bereits geplant), dann in diesem jahr eine nachholfahrt. nun hoffe ich sehr, der abschluß nach berlin findet statt, soll nämlich im nov. sein. hilfe, corona! die kids haben es auch nicht leicht, eigentlich müssten wir lehrer/-innen und schüler/-innen besonders belohnen für das erlebte, den streß, die fehlenden freunden.
Genau. Deshalb machen wir es auch. Die Kinder und Jugendlichen sind ausgehungert. Und benehmen sich dann wie junge Kälbchen, die zum ersten Mal auf der Weide sind. Ich verdränge die letzten zwei Jahre so gut wie es geht und lebe sehr im Jetzt.
Keine Klassenfahrt ist umsonst! Es sind (neben so viel anderem) Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung, die man erfährt und die dann durchs Leben tragen. Als Schüler weiss man das nicht, fühlt es vielleicht, kann es aber noch nicht in die passenden Worte fassen. Danke dafür! Und was die Abreise-/Ankunftszeremonie betrifft: Ab einem gewissen Alter ist es peinlich, vor den Mitschülern bzw. Freunden bis zum Lehrer gebracht zu werden. Das verstohlene Abschiedsküsschen im Auto, das höchste der Gefühle. Gilt für das Abholen genauso. Es liegt nicht an Ihnen! Muss man als Eltern auch erst lernen… Danke für die Einblicke und das Schreiben. Ich lese gerne (sonst still) hier mit.
Die Selbstwirksamkeit ist wirklich ein hohes Gut. Bei den Fahrten mit den Großen merkt man das sehr.
Das beruhigt mich etwas, dass das eben auch peinlich ist für die Kinder, wenn Eltern mit Lehrern reden. Das verstehe ich gut.
Und es freut mich, dass Sie hier als stille Mitleserin was schreiben.
Mir ist leider erst im Erwachsenenalter klar geworden, was für ein exorbitantes Privileg es in meiner Schulzeit war, in der 7., 8. 9. und 11. Klasse an einer Klassenfahrt teilnehmen zu dürfen. Vielleicht bin ich deshalb im 9. Dienstjahr wegen der anstehenden Klassenfahrt so nervös, trotz mehrfachem Einsatz bei Studienfahrten: es soll für unsere Mittelstufen-Schüler:innen nach viel Pandemieverzicht eine Bereicherung sein, es soll schön sein und Spaß machen. Ihnen und uns. Bei steigenden Coronazahlen hoffe ich einfach, dass die FFP2-Maske im Bus bei +10h-Fahrt ihre Wirkung zeigt. Danach ist mir echt fast alles egal. Danke für den Post:-).
Die erste Klassenfahrt als Lehrerin ist etwas Besonderes. Und wird lhnen lange im Gedächtnis bleiben.
Ich kann leider nicht auf solche Erfahrungen als Schülerin zurück blicken. Mittelstufenfahrten gab es bei uns nicht, in der Oberstufe wurden wir ein Mal von einer mitleidigen Biolehrerin in Rheintal mitgenommen zusätzlich zu ihrer Klasse, die gab es damals noch. Weil keiner mit uns fahren wollte. So schlimm waren wir aber nicht. Jedenfalls hat mich diese Fahrt so geprägt, dass ich jetzt hier lebe. Und ich liebe diese Gegend.
Wir hatten bei beiden Fahrten Coronafälle, obwohl wir fast nur an der frischen Luft waren. Ich nehme an, dass die Jugendlichen bei Nacht Cluster gebildet haben. Das hat man natürlich nicht im Griff.
Als sonst stille Leserin kann ich zu diesem Thema nur sagen – danke für Ihren Einsatz! In meinem Schulleben habe ich genau eine Klassenfahrt erlebt, die mir durch Besuche im van Gogh-Museum, Rijksmuseum Amsterndam und Frans Hals-Museum die wunderbare Welt der Malerei geöffnet hat. Das war ein Same, der gelegt wurde und gewachsen ist. Heute sind Ausstellungen und Museumsbesuche für mich inneres Atemholen und Inspiration für die Seele.
Danke dafür. Wie schön😊.
Man setzt Samen in Köpfe, das Bild gefällt mir sehr.