Corona 258

Die Kollegen berichten von Schülern, die Netze vor dem Mund tragen statt Masken. Reine Provokation der Eltern von der freikirchlichen Fraktion!
Und unser Ministerium knickt weg, wie bei den Attesten.
Ich schäme mich so, und ich fürchte mich.

Die halbe Portion Impfstoff war ein Versehen, jetzt ist es raus.

In Argentinien wird eine dreitägige Staatstrauer angeordnet, Diego Maradona ist gestorben. Die Götter geben ihren Lieblingen alles ganz, die Freuden ganz, die Schmerzen ganz.
(umgebaut nach Goethe)

Das Lied zum Winter der Nerzmäntel im Klassenzimmer

8 Gedanken zu “Corona 258

      • Unmöglich. Wenn sich deshalb jemand ansteckt, verklagt hoffentlich dieser jemand das Ministerium.

        Mein verstorbener Onkel war Direktor einer Gesamtschule im Westfälischen. Dort wanderten seit Mitte der 1970er viele Russlandmennoniten und Evangeliumschristen-Baptisten aus der Sowjetunion zu, die Ende der 1970er, Anfang der 1980er ihre Töchter nicht in den Schwimmunterricht schicken wollten. Das hat er ihnen aber nicht durchgehen lassen.

      • Dafür muss man Rückgrat haben. Respekt.
        Die Fundamentalisten jedweder Couleur treten immer massiv auf. Die Kraft ist groß, die man braucht dagegen zu halten.

      • Bei den Spätaussiedlern und Rußlanddeutschen habe ich noch Verständnis für eine solche Haltung; die hat ihnen unter der SSoffjett-Unterdrückung beim Durchstehen geholfen. Es ist gar nicht leicht, aus solchen von Kindesbeinen und seit Generationen überlieferten Verhaltensstrukturen herauszukommen. Diese Wir-hier-drinnen-sind-gut-und-die-Außenwelt-ist-böse-Einstellung, die – auch da nicht ohne Grund – die ersten Christengemeinden geprägt haben mag, ist der Boden, auf dem ein unheimlich starker Zusammenhalt gedeiht. Da wird schon mal ein verlassenes Dorf für einen Appel und ein Ei gekauft, und binnen kürzester Zeit haben sie, Hand in Hand, alles neu aufgebaut und renoviert. Wie in „Der letzte Zeuge“, wo sie alle kommen, um diese Scheune aufzurichten. Den Film muß man übrigens im Originalton sehen!
        Aber besonders für die junge Generation ist es auch eine unheimliche Zerreißprobe. Manche bleiben dabei, so als Pseudo-Amische, manche steigen aus und rutschen oft gleich in die Kriminalität ab, weil sie ja keine anderen Normen als die der Gemeinde kennen, die sie gerade verworfen haben, und manche werden seelisch krank. Und wieviel Leid aus „wer zweimal datet, ist verlobt“ entsteht, kann man gar nicht ermessen.
        Speziell bei Evangeliumschristen-Baptisten habe ich ein bißchen hinter die Kulissen schauen dürfen, und da ist mir schon aufgefallen, wie stark die Parallelen zu Jehova-Zeugen sind: in den Regeln fürs tägliche Leben, aber auch in der Abgrenzung von „wir sind die Guten, und wer uns nicht folgt, ist böse, wer bei uns aussteigt, ist dem Teufel verfallen“. Kein Wunder, theologiegeschichtlich sind es zwei Blüten am selben Ast.
        Mennoniten dagegen habe ich nicht so verklemmt streng erlebt, aber „meine“ Mennoniten sind auch keine Rußland-Mennoniten, sondern in den Gebieten zuhause, die aus einstmals Hl.Röm.Reich zu Frankreich gekommen sind.

        In Kierspe waren es in den Neunzigern nicht nur die Mädchen, sondern auch die Jungen, die nicht in den Schwimmunterricht durften und nicht auf Klassenfahrten. Ich kann es in gewisser Weise auch verstehen; ich erinnere mich noch recht gut, was in meinen eigenen Pubertätsjahren speziell beim Schwimmunterricht abging, und auch bei Klassenfahrten.

      • Das haben Sie sehr gut zusammengefasst. Dass die Kinder in zwei Welten leben, ist sehr schwar für sie. Wenigstens machen die meisten jetzt mit beim Sport und auch die Sexualkunde ist kein Drama mehr. Seit die Eltern wissen, dass wir bei der Biologie bleiben, ist es gut. Dieses Geschlossensein wirkt nach außen nicht sehr attraktiv. Sie wundern sich aber, dass biemand zumihnen übertritt, wo sie doch die besseren Menschen sind. Nein, stimmt nicht ganz, psychisch labile Menschen finden Halt dort im strengen Regelwerk. Mir fehlt allerdings der tiefere teologische Hintergrund. Ich habe schon ein paar Gottesdienste miterlebt und festgestellt, dass Hinterfragen nicht die Kernkompetenz ist. Man bemüht auch die hintersten Ecken des Alten Testaments zu durchpflügen, um Regeln zu begründen, die für heutige Zeiten leicht abstrus klingen. Und der Satan wird gerne bemüht.
        Diese Ehen der Achtzehn bis Zwanzigjährigen mit der nicht mehr ganz so hohen Kinderzahl führt nicht unbedingt zu glücklichen Menschen. Aber Auszutreten ist wirklich gefährlich. Man wird gebannt und die Familie wendet sich ab. Das mit der Kriminalität beobachte ich auch, auch dass es schnell geht.
        Ich hoffe ja immer auf die Zeit, die das regeln wird. Aber bei extremen Religionsauffassungen bin ich mir nicht mehr sicher. Dieser andauernd strafende Gott macht die Menschen hart auf Dauer.

      • Die theologische Tiefe vermisse ich da allerdings auch. Die Bibel ist ja kein Steinbruch, aus dem man sich eine Ansammlung von Lebensregeln zusammenfegen und -klauben kann. Was die alttestamentlichen Regeln angeht, hat vor etwa 20 Jahren ein Rabbiner sehr fein auf die damals gestellten „Fragen an Dr. Schlessinger“ geantwortet und dargelegt, daß diese Regeln für Juden gelten und nur für Juden. Christen jüdischer Tradition oder Juden, die glauben, daß Jesus der Christus, der Messias ist, müssen sich damit auseinandersetzen, aber für Christen nichtjüdischer Herkunft sind diese Regeln keine Verpflichtung. Das ist nebenbei auch in Apostelgeschichte (Kapitel 15) und Paulus‘ Briefen, vor allem dem an die Galater, ausführlich dargelegt. Aber die sogenannten evangelikalen Bewegungen klammern das gern aus. Sie verschließen auch die Augen vor den paulinischen Spannungen von Gesetz und Gnade, von Schrift und Geist. Auch davor, daß quasi sämtliche apostolischen Schriften betonen, das ganze Gesetz resümiere sich in dem Gebot der Nächstenliebe; alles andere ist nur Auslegung dieses einen Gebots. So ja auch in den Evangelien zum Doppelgebot der Liebe.
        Natürlich ist es bequem, für alles eine fertige Lösung zu haben. Der Codex Iuris Canonici, das katholische Kirchenrecht, ist eben deshalb so voluminös. Aber so einfach ist es eben nicht: wenn ich für alles nur noch in ein Buch schauen muß, dann bin ich selbst außen vor. Dann werde ich zur Maschine, zum Apparat. Zur Matrikelnummer. („Der Buchstabe tötet“, schreibt Paulus.) Und auf diese Weise werden reihenweise angebundene Katzen produziert. Sicher kennen Sie die in verschiedenen Versionen kursierende Erzählung von der Katze, die während des Gebets der Mönche angebunden werden mußte, um nicht das Gebet zu stören, und was daraus wurde.
        Mag die Abgrenzung zur „Welt“ in frühchristlichen Gemeinden notwendig gewesen und auch in Verfolgungssituationen angebracht sein, ob weiland in der UdSSR oder heute in islamisch- oder kommunistisch-totalitären Staaten, in Deutschland und allgemein in Europa ist sie unnötig. Aber das Unverständnis, das sie hervorruft, führt wieder zu der irrigen Meinung, man müsse sich nun um so mehr abschotten gegen die bösen Anderen. So wird die vermeintliche Verfolgung und die Selbst-Ghettoisierung zum identitätsstiftenden Element, und das wieder wird zum Ausschlußkriterium. Dazu braucht man nicht einmal die Vorstellung eines Gottes, der die Menschen „liebt“ wie die Rottenmeyer das Heidi. Aber das religiöse Entweder-Oder verschärft die Sache zusätzlich.
        Es ist ein Trauerspiel.
        Und das exakte Spiegelbild dieser Evangeliumschristen-Baptisten, nämlich die Wachtturm-Gesellschaft, hat in Deutschland sogar den Status einer Körperschaft Öffentlichen Rechts erstritten. Ich bin bestimmt keiner, der gern Richter schilt, aber die Richter, die bei den Jehova-Zeugen die formalen Kriterien für diesen Status erfüllt gesehen haben, hatten wohl allesamt ihre Lesebrillen verlegt.

      • So klar und stringend habe ich das noch
        nie gehört oder gelesen. Vielen Dank dafür.
        Der liebende und verzeihende Gott ist nicht vorgesehen, und den Satan bemüht man, wo es nur irgendwie passt.
        Die Jugendlichen haben es schwer. So früh verheiratet, und recht schnell behaust und bekindert, wird das Leben recht schnell schwer und anstrengend. Man baut nebenher noch den Verwandten das Haus und das Gemeindezentrum um. Es ist nie Luft und Zeit zum Nachdenken.
        Dieses Totalitäre der Gesamtkonstruktion ist beängstigend.

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