Kurz nach dem Aufwachen ist alles gut. Bis ich begreife, dass ich nur vergessen habe, dass wir in einem Alptraum leben. Gestern Abend haben wir den Wein an der Haustür des Händlers gekauft und auf dem Hof verladen. Ein Geburtstagsgeschenk wurde mit ausgestrecktem Arm an der Haustür überreicht. Distanzgratulation. Keine Gäste da. Im REWE waren alle Regale voll, bis auf das Klopapierregal gähnte nichts. Dann fahre ich heute das bestellte Fleisch auf dem Hof abzuholen. Über zwanzig Kilometer zauberhafte Landschaft und scheinbar verlassene Dörfer. Where the cows have all names. Und so ein Rind mit Namen ruht nun teilweise zumindest im Gefrierschrank. Gestern hatte ich Geschirrspülmittel für die Maschine vergessen, ausgerechnet. Also auf dem Rückweg wieder zu REWE. Über Nacht hat der Boden im Geschäft Abstandsstreifen bekommen und die Eingänge Security. Drei junge Männer mit zweifelhaftem Aussehen bewachen Eingänge und die Warteschlange. Und das bei unserer meist sanftmütigen Landbevölkerung. Den Leuchtbojen ist es auch sichtlich unangenehm, wenn kleine alte Damen sie verwirrt betrachten. Die ersten Mundschutze grüßen mich. Ich grüsse zurück, weiß aber nicht wen. Habe mich mit Lindtschokolade eingedeckt, damit ich was habe, was ich mit ausgestrecktem Arm an Haustüren überreichen kann. Wenn ich bis dahin überhaupt das Haus verlassen darf. Der Mann hat ja einen Passierschein, ist aber sicher nicht aufgelegt, Schokolade an Haustüren zu überreichen.
In der Stadt ist Polizei unterwegs. Das sind sie ja samstags meist, aber in der Nacht, um die zugedröhnten Jugendlichen und Schützenvereinsmitglieder aus dem Verkehr zu ziehen. Und ich ertappe mich dabei, zu überlegen, welche Alkoholikerpfade ich ab jetzt durch den Wald nehmen muss, damit ich nicht in eine Sperre komme. Vor zwanzig Jahren waren wir im Baskenland in eine Anschlagswelle der ETA geraten. Da gab es auf dem letzten Feldweg noch Polizeisperren und Kontrollen.Mittlerweile ist laut Zeitung die S-Bahn nach Köln ist eingestellt. Die Freiheitsgrade erniedrigen sich.
Da das Leben weiter gehen muss, koche ich paar Kilo Knochen zu Suppe ein. Es hilft ja nichts, dieses Trübsalblasen. Ein Spaziergang im Dorf zeigt den abgesperrten, menschenleeren Spielplatz. Überhaupt menschenleer. Das lebhafte Dorf vom letzten Wochenende ist wieder so leblos wie immer. Es ist übrigens mein letzter Spaziergang mit Handy. Diese Bewegungsmuster, die jetzt Litauen und Israel erstellen, beunruhigen mich doch.
Was mir so an diesen Tagen durch den Kopf geht, ist die Liedzeile „Trotz alledem “ von Ferdinand Freiligrath. Ich hab schon mal im schon mal Blog über dieses Lied geschrieben.
Das hier ist der Originaltext.
Ob Armut euer Los auch sei,
Hebt hoch die Stirn, trotz alledem!
Geht kühn den feigen Knecht vorbei;
Wagt’s, arm zu sein trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Trotz niederm Plack und alledem,
Der Rang ist das Gepräge nur,
Der Mann das Gold trotz alledem!
Das war ’ne heiße Märzenzeit,
Trotz Regen, Schnee und alledem!
Nun aber, da es Blüten schneit,
nun ist es kalt, trotz alledem!
Trotz alledem und alledem –
trotz Wien, Berlin und alledem –
ein schnöder scharfer Winterwind
durchfröstelt uns trotz alledem!