Unter Corona

Zu Anfang der Pandemie hatte meine Mutter einen Hirnschlag. Da er im Kleinhirn stattfand, konnte sie nicht mehr richtig gehen, war aber geistig klar.
So lag sie wochenlang auf einer neurologischen Station. Wir kamen nicht an sie ran, konnten nur telefonieren, wenn die Schwestern für die wählten. Manchmal hat man sie beim Essen vergessen und sie war hungrig. Manchmal war sie durstig. Ich rief auf der Station an und bat, ihr doch was zu essen zu geben. Die Schwestern reagierten genervt. Die Ärztin rief am Abend an und berichtete, wie fertig sie alle wären.
Als dann die Reha anstand, war es nur telefonisch möglich, einen Platz zu bekommen, sie dahin bringen zu lassen. Ich wusste immer noch nicht wie es ihr geht. Sie war einsam und sie war tapfer, sehr tapfer. In der Reha waren sie geduldiger mit ihr. Sie tat was sie konnte. Viel war das wohl nicht. Besuchen konnte man sie ganz kurz, mit allen möglichen Sicherheitsvorschriften. Am letzten Tag ließ man sie aus dem Rollstuhl fallen, sie brach sich den Arm. Zuhause war die Pflege nicht so schnell zu bewältigen. Das ging nur in der Kurzzeitpflege. Dort gab es Versorgung, und kurze Besuchszeiten. 30 Minuten mit Wäsche bringen und Wäsche mitnehmen. Sie wollte da nicht bleiben, sie wollte nach Hause. Sie erzählte, dass man sie nicht gewaschen habe, sie von einer Mitpatientin gefüttert wurde. Sie konnte essen, wenn man ihr Zeit ließ. Das interessierte dort niemanden.
Nach drei Wochen war zuhause alles bereit, Pflegedienst, Pflegekraft und Nachbarschaftshilfe und all das Equipment, das man braucht. Immer mit Test, immer mit Schutzausrüstung.
Die Hausärztin kam nie, sie verschrieb nur. Die Dienste kontrollierten sich gegenseitig, wenn was schief lief, erfuhr ich es schnell.
Sie wurde immer schwächer und starb dann. Ihr alter Hausarzt, längst pensioniert, kam an den letzten Tagen. Er hatte keine Angst. Er war zugewandt und warmherzig.
In diesen 9 Monaten habe ich viele Ängste gesehen, überfordertes und auch unwilliges Personal. Ein paar anständige und einen leidenden Menschen in einem riesigen Apparat. Wenn ich mir was wünschend dürfte, wäre es es ein anderes Ende.

Anke Helle berichtet im Focus über den Coronatod ihres Vaters. Als ich ihn gelesen hatte, kam mir alles wieder hoch.

25 Gedanken zu “Unter Corona

  1. Das ist wirklich furchtbar, eine schlimme Erfahrung. Dieses „wir werden einander viel zu verzeihen haben“ berührt so vielfältige Bereiche. Geschichten, die man ahnt, aber immer noch zu wenig bekannt sind.

  2. Du hast es dir von der Seele geschrieben. Es ist wichtig, auch diese Geschichten zu erzählen.
    Mein Vater ist vor der Pandemie gegangen und war lange Zeit im Krankenhaus. Ich habe damals in der ersten Coronaphase gedacht, ein relatives Glück, es wäre umso viel schwerer gewesen, als es so schon war. Der Text im Focus hat mich erschüttert, denn da geht es um die gegenwärtige Situation, die keinen mehr zu interessieren scheint. Man kann nur hoffen, dass es bald vernünftige, menschliche Lösungen gibt, um den geliebten Menschen in ihrer letzten schweren Zeit nahe sein zu können. Der Umgang mit dem Coronavirus sollte nicht mehr anders geregelt sein als andere Infektionen, die in der Palliativmedizin häufig auftreten. Wir mussten uns damals auch teilweise Schutzkleidung anziehen, das war aber kein Problem im Vergleich zu den jetzigen Einschränkungen.
    Was die Situation der Pflegekräfte betrifft, können wir uns als Außenstehende nur schwer eine Meinung bilden. Sie haben in jedem Fall meinen Respekt und ich möchte, was Belastung und Verantwortung betrifft, nicht mit ihnen tauschen.
    Liebe Grüße aus Italien, Anke

  3. Das tut mir sehr leid, so eine schlimme, traurige Geschichte. ❤️
    Ich habe in den letzten Monaten als Angehörige viel Zeit in Kliniken und Praxen verbracht. Das Personal habe ich größtenteils als freundlich und engagiert erlebt. Was ich zwischen den Zeilen mitbekommen habe ist, dass die Anspannung allgegenwärtig ist und ein sicheres Planen nahezu unmöglich. Die ohnehin prekäre Situation, der Personalmangel, hat sich auch durch Corona weiter verschärft. Und wenn Personal fehlt? Die Radiochemo beginnt Wochen später, OP-Termine wackeln. Das ist für alle belastend und für Patienten evtl. tödlich. Und ja, ich habe auch Angst, dass uns eine ähnliche Geschichte wie deine passieren könnte. Die Ärzte und Pflegenden sind nicht das Problem, das System ist kaputt.

    • Es ist halt so, dass wenn Personal fehlet, dass man sich fragten muss warum. Zahlt man zu wenig? Sind die Schichten so, dass man kein Privatleben mehr hat? Ist die öffentliche Anerkennung zu gering? Ist die Ausbildung unattraktiv? Its die Arbeit zu schwer? Entspricht die Arbeit nicht den Erwartungen?
      Tötet die Hierarchie sämtliche Innovationen?

      • Da kommt wohl alles zusammen. Wobei ich glaube, die meisten mögen ihren Job, die Rahmenbedingungen sind das Problem. Jahrelang wurde gespart, weil Krankenhäuser Gewinne abwerfen müssen. Das kann nicht gut gehen.

  4. Auch mein Vater ist allein gegangen in dieser Zeit….es läßt mich nicht los. Liebe Grüße und eine gute Weihnacht…….

    • Das ist traurig.
      Der Gedanke ist sicher schwer zu ertragen und anzunehmen.
      Ich weiß es nicht, ob es Sie tröstet. All die Menschen, die im Umfeld gegangen sind in den letzten Jahren, haben das getan, als keiner im Raum war. Ganz für sich.

  5. Das ist furchtbar. Meine Mutter starb ebenfalls allein im Pflegeheim – und ich verzeihe gar nichts. Niemals. Dennoch: Wir haben doch bereitwillig mitgemacht, oder etwa nicht? Wir haben uns diensteifrig unterworfen – aus Angst vor einer saisonalen Infektionskrankheit, die man einfach mal zur Pandemie erkor, oder vor den z. T. rabiaten Maßnahmen, die einem blühten, wenn man genau die Story anzweifelte. Wenn nicht mal meine Liebsten mehr für mich kämpfen, sondern sich lieber jeder noch so absurden Maßnahme unterwerfen, die sich die Veranstalter im Zuge der Umsetzung eines abenteuerlichen Horrorschinkens ausgedacht haben – dann sterbe ich auch lieber.

    Wir müssen jetzt gar nicht jammern. Wir hätten damals handeln müssen. Haben wir aber nicht. Damit werden wir leben müssen. Alle.

    • Das ist traurig und tut immer noch weh.
      Natürlich war alles schrecklich und ich hatte es mir auch anders gewünscht. Für ungeimpfte alte Menschen war die Krankheit tödlich. Und wir haben sie so geschützt. Da war kein Aufstand angebracht. Es gab keine Wahl.
      Hier in der Gegend starben im Jahr 2020 in einem Altenheim 18 alte Menschen an Corona innerhalb von ein paar Tagen.
      Wir haben bisher 160.000 Coronatote im Lande, die kann man nicht wegdiskutieren.
      Es ist keine einfache Erkältung.

  6. Liebe crocodylus, ich habe etwas ganz Ähnliches mit meiner Mutter erlebt. Dieses Jahr. Sie erlitt im Krankenhaus nach einem Herzkatheter-Eingriff einen Schlaganfall. Ich dachte in meiner Naivität, dass sie sich ja Gott sei Dank schon im Krankenhaus unter Aufsicht befand und man ja sofort Gegenmaßnahmen einleiten könne. Viel besser, als wenn es zu Hause passiert wäre. Da lag ich falsch. Es wurde auch in der Klinik zu spät erkannte. Erst durfte ich nicht zu ihr. Das Personal in der Intensivstation überfordert. Als ich dann die Sondergenehmigung der Sondergenehmigung erhielt, traf ich auf ein Häufchen Elend, an Geräte angeschlossen, überall piepste es. Sie konnte nicht sprechen und hatte und eine Seite des Körpers war schwächer oder gelähmt. Das konnte man in ihrem Zustand noch nicht feststellen. Weiter ging die Odysee in die Stoke Unit, auch hier hatte ich mit unzähligen Ärzten Gespräche. Ich traf auf einen einzigen Arzt, der mir menschlich und auf Augenhöhe sagte, dass er mich verstehen konnte, da er das gleiche mit seinem Vater durchgemacht habe. Ich war ihm unendlich dankbar für diese Worte. Ansonsten keine einzige Stütze in dem Apparat. Meine Mutter konnte nicht gut schlucken seit dem Schlaganfall, also war die Nahrungsaufnahme und ihre Versorgung erheblich gefährdet. Niemand, der Zeit gehabt hätte, ihr 30 min lang Nahrung einzuflößen. Ich habe es probiert und bin kläglich gescheitert. Zu sehen, wie die eigene Mutter jeden Tag ein Stück mehr vor deinen Augen stirbt, ist unendlich hart. Auch für eine Frühreha musste ich kämpfen, am liebsten wollte man sie gleich ins Pflegeheim schicken. Eine Aufklärung über die Möglichkeit eine Magensonde zu legen, kam viel zu spät. Da war sie schon so geschwächte, dass man ihr den Eingriff nicht mehr zumuten wollte und es ging zu Ende. Ich muss ehrlich sagen, dass ich immer große Stücke auf unser Gesundheitssystem gehalten habe. Nach dieser Erfahrung möchte ich bitte so wenig damit zu tun haben wie möglich. Nachdem nun auch mein Vater in den letzten Wochen an Corona erkrankte und im Krankenhaus noch eine Lungenentzündung hinzukam und man dann nur noch auf seinen Tod wartete, bin ich wirklich bedient. Einlass nur, als es feststand, dass er es nicht schaffen würde, mit Schutzkleidung. Mein Bedarf an 2022 ist gedeckt.

    • Liebe Nora,
      Das ist ja schrecklich! Und es tut mir so leid, dass Du auch diese Erfahrung machen musstest.
      Ich finde, man darf nicht alles durch Überlastung erklären und durchgehen lassen.
      Die Aufgabe des Krankenhauspersonals ist es, die Patienten so gut wie möglich zu versorgen.
      Dafür werden sie bezahlt. Ich erwarte keine Idealisten, ich erwarte aber, dass sie ihre Arbeit tun, so wie wir alle das machen in den schlechten Zeiten. Und dass sie sich allen gegenüber mitfühlend zeigen.
      Deine arme Mutter und Dein armer Vater!

  7. Pingback: Währenddessen in den Blogs, Ausgabe vom 28.12.2022 – Buddenbohm & Söhne

    • Danke, liebe Frau Herzbruch.
      Niemand sollte so gehen müssen. Meine arme Mutter hatte im Krieg Schlimmes gesehen und hätte ein schöneres Ende verdient.
      Auch nach zwei Jahren hadere ich immer noch. Aber wir haben getan, was wir konnten. Sie hat sich so nett verabschiedet und uns gedankt. Sie war nicht allein und ich denke, sie fühlte sich aufgehoben.
      Ich bin soweit jedem zu raten, Angehörige doch zuhause sterben zu lassen und nicht im Apparat. Es ist schwer zu organisieren, aber man kann es.

  8. Wenn man von der Klinik gesagt bekommt, dass es mit der geliebten Person dem Ende entgegen geht, ist es sehr schwer, die Entscheidung für eine Verlegung nach Hause zu treffen. Ich hätte es nicht gekonnt, hatte keine Kraft mehr. Vielleicht, wenn man es Tage vorher schon weiß. Letztendlich hofft man aber doch noch irgendwie bis zum Schluss…
    Ja, das mit dem Hadern kann ich verstehen, das geht mir auch so, trotzdem ich auch das Gefühl habe, alles getan zu haben.

    • Eine Verlegung kurz vor dem Ende ist eine Qual, für alle. Aber man weiß es ja nie, wann das genau sein würde. Ich dachte auch nicht, dass meine Mutter nur noch ein halbes Jahr lebt.

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