Drosten und Buffalo

So, jetzt kann man das Interview mit Christian Drosten ganz lesen.
Er empfiehlt, dass künftig Wissenschaftler Wissenschaftler für die Beratung aussuchen und nicht die Politiker. Schön wäre das ja. Vielleicht sollten die Journalisten ebenfalls nachdenken und sich erkundigen, bevor sie jemandem großen Raum einräumen, dem es nicht um Wissenschaft sondern um Selbstdarstellung geht.

Wie könnte eine Politikberatung künftig besser laufen?
Ein erster Schritt wäre, dass Wissenschaftler eine Beratung schriftlich festhalten, anstatt alles in vertraulichen Runden zu besprechen. Zudem sollte eine multidisziplinäre Wissenschaftsorganisation wie vielleicht die Deutsche Forschungsgemeinschaft ein Gremium aus bis zu 30 Leuten aus unterschiedlichen Fachgebieten berufen. Damit nicht Parlamentarier in irgendeiner Partei jemanden wählen, der ihnen vielleicht im Fernsehen gut gefallen hat. Und wenn einige wenige, aber besonders lautstarke Wissenschaftler oder Ärzte wieder und wieder mit großer Vehemenz falsche Behauptungen, die Menschenleben kosten, in die Medien tragen, müsste es innerhalb der Wissenschaft auch eine Art Korrektiv für ein solches Fehlverhalten geben.

Ich halte es nach wie vor für einen großen Fehler, Kinder nicht zu impfen, in der Schule nicht mehr zu testen und Kindern somit einfach Corona zuzumuten.

Wie wird es nun mit Sars-Cov-2 weitergehen? Derzeit wird unter Wissenschaftlern diskutiert, ob Covid-Infektionen das Immunsystem langfristig schwächen.
Diese Sache ist tatsächlich interessant. Vereinfacht gesagt haben junge Menschen viele naive Immunzellen. Diese reifen mit zunehmenden Kontakten zu Erregern zu Gedächtniszellen, und die naiven Immunzellen können nicht unbegrenzt nachproduziert werden. Derzeit bekommen Immunologen Befunde, die suggerieren, dass diese Alterung des Immunsystems bei Kindern nach Coronainfektion viel fortgeschrittener ist, als man es erwarten würde.
Man kann sich nun zugespitzt fragen, ob ein ungeimpftes Kind nach Infektion vielleicht mit 30 das Immunsystem eines 80-Jährigen haben wird. Die Durchseuchung der Kinder wäre dann ein riesiger Fehler gewesen. Das wäre ein extremes Szenario, das man aber mit erwägen muss.
Allerdings haben wir keine Infektionskrankheit so gut erforscht wie Sars-Cov-2. Gut möglich, dass es sich bei anderen Infektionen auch so verhält und das Phänomen nach zwei, drei Jahren verschwindet, weil gerade junge Kinder noch naive Immunzellen nachproduzieren können. Wir wissen all dies noch nicht. Ich hatte aus Vorsicht immer für die Impfung und den Infektionsschutz von Kindern plädiert.

Das ganze Interview

Ich bin ja so alt, dass ich in der Schule noch Balladen auswendig gelernt habe. Ich mochte das sehr. Ich kann sie nicht mehr am Stück heute, aber ein paar Zeilen sind geblieben.

So musste jedes Schwabenkind das Heldenepos von Ludwig Uhland lernen.
Schwäbische Kunde.
Diese Zeilen blieben mir. Ja, ich weiß, politisch sehr inkorrekt.

Als Kaiser Rotbart lobesam
zum heil’gen Land gezogen kam,
da mußt‘ er mit dem frommen Heer
durch ein Gebirge wüst und leer.

Daselbst erhob sich große Not.
Viel Steine gab’s und wenig Brot.
Und mancher deutsche Reitersmann
Hat dort den Trunk sich abgetan.

……………

Als er das Tier zu Fall gebracht,
da faßt er erst sein Schwert mit Macht,
er schwingt es auf des Reiters Kopf,
haut durch bis auf den Sattelknopf,

haut auch den Sattel noch zu Stücken
und tief noch in des Pferdes Rücken.
Zur Rechten sah man wie zur Linken
einen halben Türken heruntersinken.

……….

Und so geht es mir mit der Kältewelle in den USA. Mein erster Gedanke war:
John Maynard steht am Steuer.
Nur noch 10 Minuten bis Buffalo

Wenn Sie es nicht lesen mögen, unten wird es rezitiert.

John Maynard!
Theodor Fontane

„Wer ist John Maynard?“
„John Maynard war unser Steuermann,
aushielt er, bis er das Ufer gewann,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron‘,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.“

Die „Schwalbe“ fliegt über den Erie-See,
Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;
von Detroit fliegt sie nach Buffalo –
die Herzen aber sind frei und froh,
und die Passagiere mit Kindern und Fraun
im Dämmerlicht schon das Ufer schaun,
und plaudernd an John Maynard heran
tritt alles: „Wie weit noch, Steuermann?“
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:
„Noch dreißig Minuten … Halbe Stund.“

Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei –
da klingt’s aus dem Schiffsraum her wie Schrei,
„Feuer!“ war es, was da klang,
ein Qualm aus Kajüt und Luke drang,
ein Qualm, dann Flammen lichterloh,
und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.

Und die Passagiere, bunt gemengt,
am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,
am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
am Steuer aber lagert sich´s dicht,
und ein Jammern wird laut: „Wo sind wir? wo?“
Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo. –

Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,
der Kapitän nach dem Steuer späht,
er sieht nicht mehr seinen Steuermann,
aber durchs Sprachrohr fragt er an:
„Noch da, John Maynard?“
„Ja, Herr. Ich bin.“

„Auf den Strand! In die Brandung!“
„Ich halte drauf hin.“
Und das Schiffsvolk jubelt: „Halt aus! Hallo!“
Und noch zehn Minuten bis Buffalo. – –

„Noch da, John Maynard?“ Und Antwort schallt’s
mit ersterbender Stimme: „Ja, Herr, ich halt’s!“
Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,
jagt er die „Schwalbe“ mitten hinein.
Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
Rettung: der Strand von Buffalo!

Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt!
Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell’n
himmelan aus Kirchen und Kapell’n,

ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
ein Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend folgen oder mehr,
und kein Aug‘ im Zuge, das tränenleer.

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
mit Blumen schließen sie das Grab,
und mit goldner Schrift in den Marmorstein
schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:

„Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
hielt er das Steuer fest in der Hand,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.“

6 Gedanken zu “Drosten und Buffalo

  1. Ach, danke, da haben Sie eine Bildungslücke bei mir geschlossen! „Kaiser Rotbart Lobesamt“ und „viel Steine gab’s und wenig Brot“ kannte ich als Ausdrücke, die mein Vater immer mal irgendwo eingestreut hat. Ich habe ihn nie gefragt, was es damit auf sich hat – jetzt weiß ich es.
    Und John Maynard habe ich auch noch gelernt. Und Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

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