Alle stehen bereit. Eine Fieberambulanz ist eingerichtet. Die Geschäfte, die noch auf haben, schützen ihre Angestellten soweit es eben geht. Der Glashändler bringt Spuckschutz um Spuckschutz an. Ja, so heißen die Glaswände. Die Stehplätze für Kunden werden mit gelben Kreuzen markiert. Die Beschaffung der Materialien ist vermutlich einer der Gründe, warum die Baumärkte noch geöffnet haben. Der andere ist vermutlich der Ausfall der Fussballspiele. Die Männer müssen beschäftigt werden am Wochenende.
Gottesdienste gibt es keine mehr, weder bei den traditionellen Kirchen noch bei den Freikirchen. Das wird schwer werden, da bei letzteren dort ganze Wochenenden mit Beten und Basteln verbracht werden.
Die Pfarrer haben genaue Anweisungen für Beerdigungen.
Es dürfen nur bis zu 10 Trauergäste anwesend sein. Und alles muss an der frischen Luft stattfinden, keine Andacht, kein Gottesdienst in Gebäuden. Und die Trauergemeinde muss weit auseinander stehen.
Keine Hausbesuche mehr, nichts. Die Kirchen werden abgeschlossen.
Es ist schwer ohne Menschen. Normalerweise bin ich froh, wenn ich nach Hause komme, wenn einfach nur Ruhe ist, und Schweigen. Jetzt merke ich, dass sie mir fehlen, die kleinen Krakeelerchen auf dem Hof, die Aufreger meiner Kollegen im Lehrerzimmer und all die beiläufigen Anlächler auf dem Weg über die Flure.
Das ist die Erkenntnis des Tages. Ich bin nicht zum Einsiedler geeignet. Bisher hatte ich mir das eingebildet, dass es nicht Schöneres gäbe als eine Blockhütte an einem See in Canada, ein Kanu davor und auf der Terrasse einen Schaukelstuhl mit Seeblick. Baaaah, ich würde jeden Tag zum Store paddeln und Gummibärchen kaufen. Oder mit Nachbarstrapperinnen Muckefuck mit Ahornsirup trinken.
Erstaunlich ist, was sich im Schatten dieser Krise alles tut.
Die Reichsbürger werden verboten, es gibt Razzien, die AfD droht zu zerfallen wegen Höckes Äußerungen, der Flügel wird vom Verfassungsschutz überwacht.
Was wären das noch für Aufreger gewesen vor Wochen.
Wobei jetzt genau die Zeit dieser rechten Lümmel wäre. Grenzen zu, Überwachung, Ausnahmezustand, genau ihre Themen. Ihre Träume werden wahr und sie streiten und drohen mit Parteiaustritt.
Die Welt ist aus den Fugen.
Und im rasanten Tempo lernt die Welt, was Viren sind. Wenn das 19. Jahrhundert das der Physik war, das 20. Jahrhundert das der Chemie, ist das 21. ein Jahrhundert, das einen Biologie lehrt. Geschwindigkeit ist nicht nur eine Sache der Fahrzeuge sondern auch des Lebens. Dort gewinnt auch der schnellere, sogar in der Botanik.
Am dem Tag, an dem ich Corona eins geschrieben habe, fand ich in der Garage noch ein paar Blumenzwiebeln, die in der Pflanzorgie im Herbst übersehen wurden. Ein bißchen schaute schon das erste Keimblatt raus. Am ersten Tag bildeten sich Würzelchen und jetzt wachsen alle stramm vor sich hin. Auch die beiden Kümmerlinge haben es sich anders überlegt.
Die Nachrichtenlage ist recht einseitig momentan. Da gebe ich dir recht. Von den Flüchtlingen und Syrien hört man auch nichts mehr.
Es ist, als ob es sie nicht mehr gäbe. Das ist schon traurig.
Gottesdienste gibt es keine mehr (…) Die Kirchen werden abgeschlossen.
Hier sind einige Kirchen für ein stilles Gebet geöffnet. Und gleich mehrere Pfarrer streamen Gottesdienste, mein Lieblingspfarrer ist auch dabei. Gestern Abend habe ich den Abendgottesdienst mitgefeiert, wobei es schon etwas seltsam war, alleine vor dem Rechner mitzusingen. Habe auch nur ganz leise gesungen, hier ist ja alles so hellhörig, ich höre meinen jungen sibirirschen Nachbarn immer beim Skypen. Er hat eine sehr tiefe, tragende Stimme, eigentlich schade, dass er nicht singt. Einige Kirchengemeinden organisieren statt Besuchsdienst ein Telefonnetz oder Hilfs- und Einkaufsdienste, in einer Gemeinde bietet Texte für eine virtuelle Gebetskette an. Ein Pfarrer macht nun Konfirmandenunterricht via Zoom, und es gibt auch eine tägliche Pfarrer*innen-Hotline von 9 bis 17 Uhr. Jeden Tag läuten die Glocken um 12 Uhr für etwa zehn Minuten zu einem kurzen Innehalten mit stillen Gebet daheim, außerdem läuten die Glocken jeden Tag um 19.30 Uhr für fünf Minuten und laden ein, als Zeichen der Verbundenheit eine Kerze ins Fenster zu stellen.
Das klingt ja alles wunderbar und gut überlegt. Hier ist mittlerweile ähnliches organisiert und wird wohl auch gerne angenommen. Die Menschen sind sehr verunsichert, das hilft ihnen. Danke für‘s Erzählen.