Corona sechzig

Uns kann nichts passieren. Das Familienvermögen ist angelegt. Und zwar in 25 Kilo Säcken mit geschälten Erdnüssen und Sonnenblumenkernen. Wir betreiben nämlich Ganzjahresfütterung. Mehrere Futterstationen werden alle zwei Tage aufgefüllt. Mit der Folge, dass wir einen Haufen Spatzen haben, die Blaumeisen und Kohlmeisen brüten sogar mit Blick auf die Futterstelle. Und wir haben die fettesten Tauben des Dorfes. Und durchtrainierte Elstern und Eichelhäher, die mit akrobatischen Verrenkungen an das Futter kommen.
Mit dem bärtigen Herrn in dem Bericht war ich schon öfter im Wald, und das zum Sonnenaufgang. Nein, romantisch geht anders. Die Vogelexkursionen im Studium waren Pflicht und in aller Herrgottsfrühe. Nichts für mich. Vor zehn Uhr am Morgen bin ich nicht zurechnungsfähig. So zwitscherte der Herr Doktor wie ein Zilpzalp oder ein Zaunkönig, er lockte die Tiere an. Vermutlich. Alle sahen das Vögelchen, nur ich nicht. Weil ich die Augen nicht auf bekam, nie dahin schaute, wo man schauen sollte. Im Internet gibt es seitenweise Fotos von Barron Trump, der in die falsche Richtung guckt. Da wird mir ganz warm ums Herz. Da stehe ich auf einer Vogelexkursion. Jedenfalls ist der Vogeldoktor danach noch sehr berühmt geworden. Er sitzt sogar manchmal in Talkshows. Und er ist für die Sommerfütterung, weil so die erwachsenen Vögel satt sind und das Futter für den Nachwuchs sammeln können.

Mögen Sie über etwas abstimmen? Der Grimmepreis für ein Onlineangebot steht zur Wahl. Wenn Sie sich nicht entscheiden können: man kann drei Stimmen abgeben und eine für Herrn Drosten und sein Podcast, und die andere für das Archiv der Roma.

Heute ist mir Victor Jara untergekommen. Er war ein Chilenischer Sänger, der Salvador Allende unterstütze. Die CIA putschte mit Hilfe des Militärs, oder es war umgekehrt, und die Militärdiktatur setzte die gewählte Regierung ab, erschoss den Präsidenten und folterten und töteten seine Anhänger im Stadion von Santiago. Heute noch denke ich beim 11.9. zuerst an diesen Putsch. 1973 war das, Südamerika löste sich gerade aus den Fängen der USA und die katholische Kirche übte sich in der Befreiungstheologie. Die ganze Welt spürte die Hoffnung, das Ende der Armut und der Unterdrückung Südamerikas. Die Befreiung hatte bald ein Ende. Man hat die Hoffnung erwürgt.

Venceremos, wir werden es überwinden.

Als Victor Jara längst tot war, saßen wir auf dem Boden der Mensa, hörten dieses Lied und weinten.
So hat man es im Osten wahrgenommen.

Viele Chilenen kamen damals nach Deutschland. Flüchtlinge vor der Militärdiktatur.

9 Gedanken zu “Corona sechzig

    • Ja, so war das. So viele Gute sind damals getötet worden. Wie anders würde die Welt aussehen, wenn nur einer länger gelebt hätte?

  1. Ich war vor 3 Jahren in Santiago und auch auf dem Friedhof und habe auch das Grab gefunden. Schön geschmückt, es kommen wohl nach wie vor viele dorthin, Bilder, Zettel, sogar eine alte Gitarre.

  2. Auch wenn ich erst sech war, an diesem Tag, kann ich mich erinnern, an diesen Tag und an die Nacht,
    Mein Vater hatte einen chilenischen Kollegen, mir dem er befreundet war, Seine Famile hat ihn besucht, wir hatten am Nachmittag zusammen einen Ausflug gemacht. Die Großen sprachen Englisch, nach den Nachrichten der BBC, war Abendessen angesagt. Nur wir Kinder hatten Appetit und wurden nicht ins Bett geschickt, wir spielten Memory, bastelten uns eines. Die Großen hörten Radio in verschiedenen Sprachen.
    Es folgte eine Zeit mit zwei Familien in einer Wohnung mit drei Zimmern und noch viel mehr.

    • Beeindruckend, wie sich ein solches Ereignis durch die Zeiten hält. Meine Erdkundelehrerin erzählt uns, wie der Einmarsch der Russen in Prag sie als Jugendliche erschütterte. 1968 wurde so der Prager Frühling und die Zeit des kalten Krieges begann.

  3. Pingback: Corona 230 | croco

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