Flugschlüssel

Frau Novemberregen macht Kraulschwimmkurs, ich mache Gymnastik im Mädchenbecken. Das Mãdchen muss ich teilweise wieder zurückziehen: ich bin die Zweitjüngste.
So, das Becken ist also flach, das Wasser warm.
Die Übungen leitet normalerweise eine der vielen blonden, pferdebeschwanzten, hellblau gekleideten jungen Frauen hier, die vermutlich im Keller irgendwo geklont werden.
Heute begleitet sie Herr B. Und er beginnt mit einem zackigen “ Los geht es!“
„Gehen Sie in schnellen Schritten durch das Becken.“
„Schneller, das geht schneller!“
„Und zurück!“
„Und schneller, schneller, schneller!!!!!“
Er brüllt sich ein.
“ Hände mit Schwimmbrett hoch, runter, hoch runter, schneller, schneller!“
Wir tun unser Möglichstes. Wir sind das nicht gewohnt, zu uns ist man sonst freundlich.
Und wir sind langsam, aus verschiedenen Gründen sehr langsam.
Die ersten Ausfälle sind zu beklagen. Einer wird schlecht.
Eine andere alte Dame bleibt verwirrt stehen und sagt, sie kann nicht mehr. Sie bleibt übrigens bis zum Ende der Veranstaltung dort stehen und guckt weiterhin verwirrt.
Jetzt muss sich unser Unteroffizier um die Dame kümmern, der übel ist und das blonde Wesen übernimmt die Leitung. Die Sonne geht auf, es wird plötzlich nett und freundlich mit uns gesprochen. Wir linsen alle in die Ecke, in der der Sklaventreiber beschäftigt ist. Er scheint voll in seiner Aufgabe der Betreuung aufzugehen und wir atmen auf.
Es kehrt Ruhe ein und wir schleudern freudig, und langsam, unsere Schwimmbrettchen durch die Gegend.
Als alles vorbei ist, bleiben wenige im Becken für ein paar weitere Runden, der Rest geht duschen und sich anziehen. Ein paar Bahnen schaffe ich, dann ist die Kraft verschwunden.
Und mein Schlüssel auch.
Das Handtuch, auf dem er lag, ist allerdings noch da und guckt weiß und unschuldig.
Ich suche rum, ob er denn runtergefallen ist. Nein.
Ich gehe in die Duschen und frage die Damen dort, ob sie eventuell meinen Schlüssel gesehen oder vielleicht versehentlich mitgenommen haben.
Ich rufe den verbliebenen Damen in den Kabinen zu, sie sollten doch bitte schauen, ob sie meinen Schlüssel haben. Nein.
Ich gehe zurück in die Schwimmhalle und schildere den dortigen Damen mein Anliegen.
Keine weiß was.
Ich gehe zurück zu den Umkleidekabinen und bitte rufend die Damen, mir doch jemanden von der Rezeption zu schicken um den Spind zu öffnen. Ich möchte nicht topfend durch die Vorhalle ziehen.
Dann öffnet sich eine der Kabinentüren und die alte Damen, die vorher im Becken stehen geblieben war, überreicht mir meinen Spindschlüssel. Er sei in ihrer Tasche gewesen, da sei er wohl hineingefallen. Und gerade eben hätte sie ihn gefunden. Ich bedanke mich artig und haben was dazugelernt:
Mein Schlüssel kann fliegen.