Geschenke der Götter

An der Kasse im Supermarkt werde ich freudig begrüsst. Die Kassiererin ist die Mutter einer ehemaligen Schülerin. Als sie alles eingescannt hat und mir den Preis nennt, gebe ich ihr zwei Scheine.
„Haben Sie mir noch nen Euro?“ fragt sie.
„Das hört man heute auch nur noch selten,“ antworte ich, während ich im Geldbeutel krame.
„Das hieß doch: haste mal ne Mark,“ antwortet ein großer schwarzgelockter junger Mann hinter mir, der seine Bierdosen auf das Band stellt.
„Ja, stimmt, “ sage ich, “Warum ist das eigentlich verschwunden?“
„Wir sagen es nicht mehr, weil wir unseren Stolz haben. Ich lebe nämlich auch auf der Strasse.“
„Ja, wovon leben Sie denn?“
„Wir sammeln Pfandflaschen,“ sagt er.“Die Leute werfen einfach alles weg.“
„So gesehen sind das ja dann auch Geschenke.“
„Ja, sagt er. Geschenke der Götter.“
Ich will sein Bier bezahlen, das hat er aber schon selbst.
Und so gebe ich ihm das Geld direkt in die Hand.
Er schaut mich an und geht weg, das Bier bleibt auf dem Laufband. Die Verkäuferin ruft ihm nach, mit Tränen in den Augen, und er kommt zurück und holt es sich.

Linkerei im Januar

Was sich so ansammelt über die Zeit, erstaunlich. Ich lasse ja die interessanten Seiten offen beim ipad, so dass ich was nochmals lesen kann. Wenn ich den Link zu den Favoriten schiebe, ist er für immer verschwunden. Leider weiß ich nie, beim wem oder über wen ich den Link bekommen habe. Man möge es mir verzeihen.
So, beim ersten geht es um die Brailleschrift für Blinde und was sich da so getan hat bei den Lesehilfen. Brailleschrift.
Hier wartet eine wunderbare Freundinnengeschichte auf das Gelesenwerden. Gedankensalat mit Dressing.
Seit ich Lehrerin bin, ist dieses Thema immer Teil meines Unterrichts gewesen: Intersexualität. Den Roman Middlesex haben ich den interessierten Schülern empfohlen. Was es eigentlich nie gab, ist die Lebensbeschreibung eines Menschen, der zwischen den Geschlechtern lebt. Und was man ihm alles angetan hat, bis es zum offenen Bekenntnis kam.Die Geschichte von Maxi.
Ein wunderbarer Artikel über eine ergreifene Rede Sechseinhalb Minuten Inferno.
So, das waren die offenen Seiten. Hoffe, es war etwas Interessantes dabei.

WmDedgT 1/2018

Frau Brüllen will es wieder wissen: was machen wir eigentlich so den ganzen Tag.
Ich sag es gleich: es war nicht viel los an diesem Tag. Was auch daran liegt, dass ich erst um halb fünf in der Früh eingeschlafen bin. Wegen Schmerzen und so weiter. Habe nämlich eine neue Baustelle, man glaubt es kaum, dass es bei mir noch Körperteile gibt, die noch nicht im Reigen waren, aber nun. Es hat mir keiner versprochen, dass das Leben leicht sein wird. Jedenfalls fühlt sich die 9Uhr-Aufstehzeit an wie mitten in der Nacht. Herr croco stresst, da er schon längst hãtte weg sein müssen. Im Gästezimmer rührt sich auch nichts. Die Mama ist wegen Müdigkeit wieder ins Bett gegangen. Irgendwann sitzen alle um den Frühstückstisch und es geht los. Der Kaffeeautomat weiß das noch nicht und produziert bräunliche Plörre. Was habe ich mich über das Mistding schon geärgert. Er hat zwar ein Saecoherz, aber die Technik drumrum ist von einer anderen Firma. Sobald die Maschine mahlt, wackelt sie so, dass sich die Bohnen verklemmen und den Schacht zum Mahlwerk versperren. Meist. Manchmal ist es aber auch was anderes. Jedenfalls hole ich zuerst die Brühgruppe raus, spüle sie, schaue, ob was klemmt. Dann pople ich die Bohnen aus dem Trichter und rüttle gleichzeitig. Eigentlich geht das nur mit Kinderfingern. Ich schimpfe also. Beschimpfen ist übrigens eine Methode, die sowohl bei technischen Geräten als auch Zimmerpflanzen hervorragend funktioniert. Sie benehmen sich sofort, so auch hier. Das Frühstück ist rum und ich beschließe, das Haus heute wegen Müdigkeit und schlechtem Wetter nicht mehr zu verlassen. Die Mama ist eh schon aufgeregt, weil es wieder heim geht. Die Vorräte sind schon gekauft, so dass sie zuhause einen guten Start hat. Ich beschließe meditatives Bügeln, sonst eine einsame Tätigkeit, und mir das durch Mamas Geschichten vergnüglich zu gestalten. So sitzt sie also auf dem roten Bürostuhl neben mir im Keller, mit Goldkette und glänzenden Ohrclips ausgestattet, und berichtet mir über die weitverzweigte Verwandtschaft und ihren Bekanntenkreis. Sie mag es nicht, nichts zu tun zu haben. So legt sie nebenher Wäsche zusammen. Das ist die Bügelphase eins. Das Mittagessen besteht aus Aufgewärmtem und einem Orangen-Fenchel-Salat, den sie vorsichtig probiert und dann mag. Der Nachtisch für sie besteht aus einem Magnumeis. Meine Mutter hat zwei Mägen, glaube ich. Einen für normales Essen und einen anderen für Eisbecher und Magnums. Sie ist satt, aber dann geht plötzlich noch ein ganzer Erdbeerbecher oder ein Magnum rein, unglaublich! Sie ist so klein und dünn geworden, dass sie etwas zulegen muss.
Wir landen zur Bügelrunde zwei wieder im Keller. Anschließend packt sie ihre Koffer und die Kleider in Kleidersäcke. Der Auszug aus Ägypten! Wir verschwinden nochmals im Keller Richtung Bügeleisen. Dann gibt es Abendbrot und wir planen ihren runden Geburtstag im Frühjahr. Es wird zwei getrennte Veranstaltungen geben, einmal die Bekannten, zum anderen die Verwandtschaft. Namenslisten werden angelegt, mit Fürs und Widers, alles in historischen Zusammenhängen. „Alle oder keiner“ von Herrn croco aus der Wohnzimmerecke gerufen, kürzt die Diskussion ab. Dann gibt es etwas Fernsehen, Großvater sucht halb Griechenland nach dem Vater der Enkelin ab, bis er im Kloster landet und einen Mönch als solchen identifiziert. Der Drehbuchschreiber muss was merkwürdiges geraucht haben. Die Mama ist längst schon weggeschlafen. Als ich auf Janis Joplin umschalte, wacht sie auf. Herr croco bringt Nougat, Saft und Schokolade und schaut mit der Mama witzige Clips an. Ich zieh mich zurück und spiele noch ein bißchen. Dann Bett.