Blütenglück

An Häusern mit Gärten klingelten wir. Und fragten ganz freundlich nach Blüten. Wir, das waren ein paar Kinder aus der Kirchengemeinde, mit Körben ausgestattet. Meist bekamen wir die Türe vor der Nase zugeknallt, Bemerkungen inclusive. So gingen wir zur nächsten Tür. Mit der Zeit füllten sich die Körbe mit Pfingstrosen und Margeriten, Rosen und Phlox.
Stolz kehrten wir ins Gemeindezentrum zurück. Im Keller standen viele Körbe, Frauen sortierten die Blüten nach Farben. Gelb und rot, blau und weiß. Ein herrlicher Anblick! Es duftete, wie es nirgends mehr duften würde. Als wir älter wurden, durften wir mithelfen bei den Blumenteppichen.
Früh aufstehen bedeutete das, es war noch dunkel. Die Plätze für die Altäre kannten wir. Dort wurden wir gebraucht. Das Muster war schon auf den Boden gezeichnet. Dann wurden die Fläche eingekleistert und einzeln mit Blütenblättern belegt. So entstand langsam das bunte Muster. Manchmal war es ein Kelch, mal ein Kreuz, oder was ganz anderes. War es ein Jahr mit wenig Blüten, half man mit Torf aus. Wenn die Sonne kam, war der Teppich fertig. Wir gingen schnell nach Hause um uns umzuziehen. Bei der Prozession wollte man doch hübsch aussehen. Neue Schuhe, vielleicht ein neues Kleid. Noch heute ist der Tag für mich hellblau.
Nach der Messe zog dann die ganze Gemeinde hinter dem Pfarrer her zu den Altären. Er ging unter einem Himmel aus Brokatstoff, den der Kirchengemeinderat trug, ernste Männer in schwarzen Anzügen. Davor und dahinter gingen die Ministranten in rot-weiß, trugen ein Kreuz oder wedelten mit dem Weihrauchfass. Man sang herzzerreissend und aus voller Kehle. Und schaute ein bißchen nach dem Ministranten mit den vielen schwarzen Locken.
Die Polizei hatte die Strassen gesperrt, Autos mussten warten, bis der Zug vorbei war. Die Anwohner nutzen den Feiertag für demonstratives Fensterputzen und für manchmal laute Gartenarbeit. Es war ja nicht ihre Religion, es waren die katholischen Flüchtlinge, die aus der Siedlung. Die Flüchtlinge aus Ungarn, Schlesien und dem Sudentenland scherten sich nicht drum. Der Weihrauch und die Blüten, das war ihr Tag. War die Prozession vorbei, ging man nochmals zu den Blütenblättern und freute sich daran. Der Wind hatte schon ein bißchen Durcheinander gemacht, und die vielen Menschenfüße. Trotzdem war es schön. Und es war der Anfang des Sommers. Jetzt konnte nichts mehr schief gehen.

Twitterlieblinge im Mai Teil 2

Noch ein paar Tweets aus der ersten Hälfte des Mai.

Twitterlieblinge im Mai 19 Teil 1

Diesen Mai 2019 werde ich wohl Zeit meines Lebens nicht vergessen.Drei schwere Krankheiten in der Familie, ein wunderbares Fest, wie ich noch nie eines erlebt habe, und eine verstörende Nachricht.
Eine junge Frau, die ich persönlich getroffen habe, hat Teile ihres Lebens erfunden. Und sie hat darüber geschrieben.
Ich weiß nicht, was sie dazu gebracht hat. Ich weiß nicht, wie es ihr jetzt geht. Ich habe ihre Geschichten gerne gelesen. Dass es sich um Literatur handelt, hat sie immer wieder in den Kommentaren geschrieben, wenn jemand etwas genauer wissen wollte. Überall lese ich schnelle scharfe Urteile.
Sind wir denn Richter? Wir sind Menschen, schwach, und in so vielem unfähig. Mancher wünscht sich mehr Buntheit in seinem Leben, es gefällt ihm nicht so wie es ist. Und so erzählt er Geschichten.
Ich bin ja schon so alt, als dass ich das verurteilen könnte. Ich habe Kinder erlebt, die Eltern erfunden haben, die sie nicht hatten. Sich schwere Krankheiten ausdachten, um vielleicht beachtet zu werden, oder gar geliebt. Einer hat eine Kneipe erfunden, die er geleitet hat, neben der Schule. Und ein anderer hatte einen Uniabschluss und Arbeitsstellen, die es nie gab. Ich habe ausnahmslos alles geglaubt, bis es plötzlich aufgedeckt wurde. Keiner konnte mir erklären, wie es dazu kam.
Und jeder fiel von der obersten, angesägten Stufe der Leiter ganz nach unten, jede Stufe brach durch. Da standen sie, nackt und bloß, und alles alles andere, was sie je gesagt und gemacht haben, war nichts mehr wert.
Was muss das für eine Anspannung sein, sich die Wahrheit und das Konstrukt gleichzeitig zu merken. Und die Angst, dass eines Tages alles auffliegt, begleitet einen bis in die Träume.
Vielleicht ist es aber auch ganz anders. Vielleicht kann man verdrängen.
Ach, was soll ich sagen.
Es bleibt ein zärtliches Gefühl für all die Gefallenen.
Trotz alledem.