Auf dem Gottesacker

Der Dorffriedhof liegt ungünstig. Von Feldern umgeben, direkt an der Strasse. Es gibt keine Leichenhalle, er birgt keinen Unterstand. Manchmal stehen Zelte da, wenn es sehr heiß ist, oder kalt, oder windig. Der Wind zerrt an allem, an den Blumen, der Mikrofonanlage und den Leuten. Er sorgt aber dafür, dass die freigelassenen Luftballone zügig mit dem Wind wegziehen, ein schönes Bild.
Es kommt eigentlich immer gerade das Müllfahrzeug, macht Krach und kommt nicht zwischen den abgestellten Autos durch. Im Sommer ist es der Mähdrescher, im Herbst und Frühjahr mischen sich die Krähen ein. Es ist nie still.
Es wird ein bisschen zu viel gestorben zur Zeit. Und es sind die Menschen, die den Winter gerade überstanden haben, sich vielleicht noch über die ersten Blüten gefreut und nun aufgegeben haben.
Die Trauerredner geben ihr bestes, die Pfarrer werden weniger, die freien nehmen zu. Ganz ohne Himmel können diese aber auch nicht, und nicht ohne Segen und manchmal gib es trotzdem ein Vaterunser.
Es werden mehr Urnen und weniger Särge. Man hat dann etwas mehr Zeit für die Organisation und die Einladung zur Feier. Das nimmt auch das Grauen, wenn eine Urne da steht. Es ergreift einen nicht so wie ein Sarg. Mit dem Nachkaffee wird es immer schwieriger, die traditionellen Wirtschaften haben aufgegeben, und dann bleiben nur sehr teuer oder sehr abgelegen oder garnicht. Das ist auf dem Land schwer, viele reisen von weit her an und haben dann keine Gelegenheit mit all den Verwandten oder ehemaligen Nachbarn zu reden.
Die meisten bitten darum von Beileidsbezeugungen abzusehen. Was ich sehr schade finde. Die Verwandten stehen da, in sich zusammengefallen, und man darf nicht hingehen.
Man streut eine handvoll Blütenblätter oder eine Schaufel Sand auf Urne oder den Sarg und geht dann. Ein Briefkasten für die Umschläge steht auch da, eine Beerdigung ist teuer. Und man freut sich über jeden Beitrag.
Meist geht man die Tage drauf bei einem Spaziergang nochmals ans Grab und verabschiedet sich in Ruhe.
Zur Hälfte der Gräber hier kenne ich die Geschichte, kannte ich die Menschen. Wieviel gelebtes Leben liegt hier, wieviel Hoffnung, wieviel Leid und Enttäuschung.
Und dann die Blumen drauf, die trösten sollen. Der Wettbewerb der Angehörigen ist da nicht so groß, manche haben einfach ne Steinplatte draufgelegt oder einem struppiges Röschen Platz geschenkt.
Für mich ist der Dorffriedhof der Platz an dem ich begreife, was Leben ist.

(Das Bild stammt von einem ganz anderen Friedhof)